27. Altenberger Domforum: Was fehlt, wenn Christen fehlen?

In einem ökumenischen Gottesdienst im Altenberger Dom wurden die Besucherinnen und Besucher schon auf das brisante Thema eingestimmt, was anschließend im Martin-Luther-Haus im Rahmen des Altenberger Domforums diskutiert wurde. Zum 27ten Mal hatten die evangelische und die katholische Kirche in Altenberg sowie der Rheinisch-Bergische Kreis in das Martin-Luther-Haus zu einer interessanten und teilweise kontroversen Diskussion eingeladen.

Auf dem Podium begrüßte Moderatorin Melanie Wilens Dr. Claudia Lücking-Michael vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Dr. Dr. Joachim Kahl vom humanistischen Verband Deutschlands, Dr. Tobias Kläden von der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral der deutschen Bischofskonferenz sowie die evangelische Pfarrerin Julia Rebecca Riedel.

Prognose: Christen werden zur Minderheit

Melanie Wilens begann die Diskussion mit einer für die Christen bitteren Prognose. Im Jahr 1950 waren in NRW 95 Prozent der Bevölkerung in einer der beiden christlichen Kirchen, 2020 waren das nur noch 60 Prozent. Bis 2060 soll sich dieser Anteil auf 30 Prozent einpendeln, ein Zustand, den Tobias Kläden in Thüringen schon heute erlebt. Er ist bewusst aus dem christlich geprägten Rheinland in die sogenannte Diaspora gegangen. „Katholiken sind hier absolut in der Minderheit, jetzt habe ich eine völlig veränderte Perspektive. Ich habe gelernt, das Christentum ist nicht selbstverständlich.“

Was fehlt ohne Christen? Hier war sich die Runde nicht wirklich einig. Claudia Lücking-Michael stellte fest, dass viele Dinge von christlichem Engagement getragen werden, hier würde sehr viel fehlen. „Christen haben sich immer da engagiert, wo kein anderer da war. Die Kirche sollte heute ganz schnell nach denen schauen, um die sich keiner kümmert und nicht auf eine rein betriebswirtschaftliche Abrechnung ihrer Leistungen achten.“

Für Joachim Kahl ist dieses Argument „ganz schwach, diese Leistungen werden sowieso zu 90 Prozent staatlich finanziert.“ Alles würden weiter gehen, weil die Bedürfnisse da sind.“ Sein zunächst schockierendes Fazit: „Wenn Christen fehlten, würde nichts fehlen.“ Allerdings relativierte er dieses Statement gleich im nächsten Satz: „Das wäre sehr zynisch, das ist nicht meine Art. Man kann sagen, es kommt auf die Christen an. Wenn der Kardinal fehlen würde, das wäre sogar ein Zugewinn.“

Julia Rebecca Riedel beantwortet die Frage mit ihrer täglichen Arbeit. Sie kommt aus dem Ahrtal, dort will sie den Flutopfern beistehen, was allerdings als Pfarrerin gar nicht so einfach ist. „Erst sagen Leute, du kannst ja handwerklich nichts, aber dann kommen Fragen zu sachlichen oder seelischen Problemen der Leute.“ Hier habe sie als Pfarrerin ein offenes Herz für die irdische und jenseitige Zukunft. „Genau das würde fehlen, wenn es keine Christen mehr gebe.“

Was fehlen wird, sind die Menschen

Tobias Kläden betont, dass „alle aber sehr nett und anständig sind, auch wenn sie keine Christen sind“. Man müsse erstmal merken, dass wir als Christen in die Minderheit kommen, Christsein ist kein Normalzustand mehr. Um den Menschen zu zeigen, was ohne Christen fehlt, geht man dort ganz unkonventionelle Wege. „Wir bieten Menschen etwas, was ihnen im Alltag etwas bringt, etwa eine Feier der Lebenswende, ein monatliches Totengedenken oder den Beziehungssegen am Valentinstag.“ Auch werde darauf aufgebaut, wo den Kirchen Kompetenz zugesprochen wird, Stichwort Caritas. „Wir wollen so die Leute zu uns holen.“

Auch die Bedeutung kirchlicher Feiertage war in der Diskussion. Einig war man sich, dass die meisten deren Bedeutung gar nicht mehr kennen und diese so immer mehr ausgehöhlt würden. In einigen Ländern weiche man auf andere Feiertage wie den Frauentag aus.

Lebhaften Protest konnte der bekennende Atheist und ehemalige Theologiestudent Joachim Kahl einfahren: „Der Verlust des Christentums bedeutet den Verlust einer illusionären Deutung des Alltags.“ Ebenso müsse man sich von der Deutung verabschieden, dass das Leben keine Durchgangsstation ist. Es ist einfach irgendwann vorbei.“ Auch damit waren nicht alle einverstanden. Schließlich einigte man sich darauf, dass man nicht den Verlust der Institution Christentum bemerken würde, den Verlust christlich geprägter Menschen allerdings sehr deutlich.

Ob man den Bedeutungsverlust des Christentums so hinnehmen muss, war umstritten, das Publikum wollte das nicht akzeptieren. So kamen von hier auch ganz klare Ansagen: „Christ sein ist mehr, als caritativer Dienst, es ist Grundlage des Zusammenlebens.“ „Es würde der Glaube fehlen, die tiefe existenzielle Antwort auf die Sinnfrage des Lebens.“ „Es würden viele kulturelle Aspekte wegfallen, fehlen würde der Schutz vor dem Islam sowie humanitäres Handeln in der Politik.“ „Atheisten haben kein übergeordnetes Wertesystem, Christen stehen für Nächstenliebe.“ Überzeugen konnte letztlich niemand den anderen, etwas zum Nachdenken gab es an diesem Abend aber für alle Beteiligten und Gäste.

Text: Dr. Klemens Surmann
Foto(s): Dr. Klemens Surmann

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