„Allah ist vor allem wütend auf die, die ihren Verstand nicht benutzen.“
Imanin Rabeya Müller, Michael Rubinstein und Professor Dr. Norbert Lammert zu Gast beim Altenberger Forum
„Demokratie in Gefahr?“ lautete das Thema beim der Jubiläumsdiskussion im Altenberger Forum. Schon zum 25. Mal luden der Ökumene-Ausschuss und der Rheinisch-Bergische Kreis zu einem Austausch über Kirche und Politik. Das Altenberger Forum wird traditionell stets am Vorabend des Buß- und Bettages veranstaltet und widmet sich aktuellen Themen der Gesellschaft.
Zu Gast waren diesmal Rabeya Müller, Islamwissenschaftlerin, muslimische Theologin und Religionspädagogin – die damalige Katholikin konvertierte Ende der 70er Jahre zum Islam, Professor Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Präsident des Deutschen Bundestages von 2005 bis 2017, und Michael Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Moderator des Forums war Wolfgang Meyer vom WDR. Die Veranstaltung war analog nicht zu verfolgen. Sie wurde im Internet übertragen.
Nur Superintendentin Andrea Vogel, die „Hausherrin“ und Pfarrerin Claudia Posche, Kreisdechant Norbert Hörter und Landrat Stephan Santelmann durften vor Ort sein. Andrea Vogel, auch Vorsitzende des Ökumene-Ausschusses im Rheinisch-Bergischen Kreis, erinnerte an die Anfänge des Forums vor 25 Jahren. „Damals begann man unter dem Thema ,Gemeinde von morgen – Gemeinde gemeinsam gestalten‘. Miteinander im Gespräch bleiben als fragende, als suchende und glaubende Menschen.“ Damals sei eine Kerze zum Symbol geworden: Das Altenberger Feuer. „Feuer hat Leidenschaft. Und genau das wünsche ich mir heute. Mit Leidenschaft unsere Argumente austauschen, miteinander im Gespäch sein und unseren Glauben miteinander leben.“ Dann entzündete die Superintendentin die Kerze.
Terrororismus
„Wir schauen nicht auf die USA und nicht auf Donald Trump und dessen Verhältnis zur Demokratie. Wir schauen, ob wir bei uns Hausaufgaben zu erledigen haben“, sagte Moderator Meyer zu Beginn und erinnerte an das offensichtlich rechtsterroristische Attentat von Hanau. „Im vergangenen Jahr ging der Anschlag auf die Synagoge in Halle und die anschließende Ermordung zweier Passanten, die Ermordung von Walter Lübke und die Enttarnung verschiedener rechtsextremistischer Gruppen und Terrorzellen voran.“
Für Rabeya Müller waren die Anschläge gerade wieder „sehr präsent“. „Die Formen sind manchmal sehr publikumswirksam, macht stiller.“ Die Muslime fühlten sich, so die Imanin, sehr unbehaglich, weil extremistische Ideologien von vielen mit Muslimen in Zusammenhang gebracht würden. Es gelte, gemeinsam Extremismus entgegenzutreten und zur Demokratie zu stehen. Für Rabeya Müller ist es unverständlich, dass so viele Menschen bei den Demonstationen gegen Corona-Beschränkungen gemeinsam mit Extremisten aufträten. „Da lässt sich aus der Not keine Tugend machen.“ Menschen mit anderer Hautfarbe, muslimischen oder jüdischen Glaubens würden Opfer von Rassismus.
Demokratie in Gefahr
„Gesetze sollen uns schützen, und sie tun das auch. Aber was, wenn sie nicht greifen?“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe einmal vom „Herz der Demokratie“ gesprochen, „das für uns alle schlägt.“ „Aber dieses Herz schlägt nur in einem gesunden Körper mit starken Institutionen und den Bürgern als Zellen“, ergänzte Rabeya Müller. „Die Muslime sollen sich zur freiheitlich-rechtlichen Grundordnung bekennen. Und die meisten tun das auch.“ Es gebe leider keinen Impfstoff gegen Extremismus. „Aber wir dürfen nicht an den Grundrechten rütteln, um die Sache in den Griff zu bekommen.
Die Gesetze sind ausreichend. Sie müssen nur allen vermittelt werden. Die Konflikte in der Gesellschaft werden niemals aufhören. Aber wenn eine respektvolle Auseinandersetzung nicht mehr möglich ist, dann ist die Demokratie in Gefahr. Wir müssen eine neue Diskussionskultur lernen, andere Meinungen hinnehmen und die Geduld aufbringen, anderen zuzuhören. Auch die Muslime müssen daran arbeiten.“ Am Ende ihres Eingangsstatements zitierte die Imanin den Propheten Mohammed: „Wenn du siehst, dass jemandem ein Unrecht geschieht, versuch es zu verhindern. Versuch es mit Worten. Und wenn das nicht gelingt, dann wehre dich mit deinem Herzen.“
Michael Rubinstein, ist nicht nur Geschäftsführer der drittgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland. Er ist auch 2012 als Kandidat für den Posten des Oberbürgermeisters von Duisburg angetreten. „Ich habe ein Bild im Kopf, das ich mit der gefährdeten Demokratie verbinde. Es sind die vermummten Teilnehmer der Corona-Demo beim Sturm auf den Reichstag. Das hat mich zutiefst erschreckt und verdeutlicht, wie sehr sich die Demokratie immer mehr zu verteidigen hat gegen psychische und physische Gewalt.“
Auflösung von Demokratien
Das Gesamtbild dieser Demonstrationen sei diffus. „Aber das Phänomen, anderen nicht mehr zuzuhören, ist Gift für den Zusammenhalt der Gesellschaft.“ Rubinstein nannte den Antisemitismus ein massives Problem der deutschen Gesellschaft. Antisemiten seien aggressiver und gewalttätiger geworden. „Der Antisemitismus ist öffentlicher und radikaler geworden.“ Hass-Mails würden immer häufiger unter Klarnamen verschickt. Und Imfpgegner, die sich mit einem Judenstern unter die Demonstranten mischten, seien menschenverachtend.
Norbert Lammert erklärte, dass im Deutschen Bundestag das Herz der Demokratie schlage. „Ich lebe mit meinen gut 70 Lebensjahren in der ersten Generation, die in ihrer Biographie nur Demokratie erlebt hat. Wir halten das für selbstverständlich. Dabei ist es ein Ausnahmezustand in der europäischen Geschichte.“ Bei der deutschen Wiedervereinigung vor 30 Jahren habe eine weit verbreitete Stimmung dergestalt geherrschaft, dass die Demokratie den endgültigen Durchbruch erzielt habe. Die Jahrhunderte alte Frage, wie eine Gesellschaft organisiert werden solle, könne gar nicht anders als demokratisch beantwortet werden.
Die Bilanz nach den 30 Jahren sei ernüchternd. Es gebe rund zwei Dutzend Beispiele von Staaten in Asien, Lateinamerika und Afrika, in denen sich demokratische Strukturen zurückgebildet hätten. Früher, so Lammert, seien Demokratien gescheitert an Bürgerkriegen, Putschen und Interventionen Dritter. „Heute erodieren Demokratien. Sie lösen sich von innen her auf.“ Ein spektakuläres Beispiel sei die Weimarer Republik. Bei freien Wahlen seien sehr viele Stimmen auf extreme Parteien entfallen. „Politische Systeme haben keine Überlebensgarantie. Tröstlich: Das gilt auch für autoritäre Systeme. Aber Demokratien sind labiler. Autoritäre Strukturen stabilisieren sich selbst.“
Neue Interpretationsmöglichkeiten für den Koran
Rabeya Müller forderte neue Interpretationsmöglichkeiten für den Koran. „Das muss man den jungen Muslimen nahe bringen. Es darf nicht sein, dass jene Imane, die erstarrt sind, ihre Interpretation als einzig wahre darstellen dürfen.“ Man müsse das Befreiende des muslimischen Glaubens an Kinder und Jugendliche herantragen. Und damit Brücken bauen zum demokratischen Gedankengut. Gut wäre auch eine zusätzliche Stunde in Politik. Den Älteren bringt man diese Denkweise nicht mehr bei. Diskriminierung ihrer Religion treibt Jugendliche zu den Extremisten.“
Wolfgang Meyer fragte in die Runde, ob Religion immer Ursache sei für die Radikalisierung von Menschen. „Es sind immer noch Menschen, die sich radikalisieren und radikalisieren lassen. Die Zehn Gebote sind die Basis für eine Gesellschaft. Wo ist das was Radikales?“ Lammert kritisierte, dass sich der Blick bei der Suche nach den Gefährdern immer auf Dritte richte. Schuld sei niemals man selbst. „Die attische Demokratie vor Jahrtausenden würde unseren Mindestansprüchen nicht genügen.“
Demokratie bedeute auch die zentrale Einsicht, dass niemand über absolute Wahrheiten verfüge. „Wir wissen nicht, was wahr ist. Und da wir es nicht wissen, müssen wir uns wechselseitig zubilligen, dass jeder das vertritt, was er für wahr hält. Interessen zu vertreten, ist legitim. Niemand kann aber in Anspruch nehmen, er habe die einzig richtigen Antworten. Das verlangt Einsicht und das Mehrheitsprinzip da. Da wir nicht wissen, was wahr ist, soll gelten, worauf sich eine Mehrheit verständigt. Oft denken die, die gewählt wurden, sie wüssten, was wahr ist. Das stimmt nicht, denn wenn sie das wüssten, wären Wahlen nicht nötig gewesen.“
Corona-Demonstrationen und Fridays-for-Future Bewegung
Lammert nannte es abstrus, dass die, die gegen die Corona-Beschränkungen demonstrierten, behaupteten, ihre Meinungsfreiheit sei aufgehoben. „Die regen sich auf, weil sie zu ihrer Meinung keinen Widerspruch dulden. Nie waren sie so frei wie heute, ihre Meinung zu äußern.“ Der ehemalige Bundestagspräsident hat einen Übermut festgestellt angesichts einer trügerischen Gewissheit der Stabilität der Strukturen. „Auf unterstellter Sicherheit der Basis verfolge ich meine Interessen. Das führt zu einer immer stärkeren Segmentierung der Gesellschaft. Identität wird zum Maßstab der Demokratie. Individualismus geht vor Gemeinsinn.“
Eine Demokratie bleibe so lange stabil, wie die Bürger von deren Überlegenheit überzeugt seien. Gegen die Selbstaufgabe von Demokraten sei ein demokratisches System machtslos. Lammert lobte die Fridays-for-Future Bewegung. „Aber ein gewisser Hang zum Fundamentalismus lässt sich nicht ganz übersehen.“ Auf Meyers Frage, ob die Recht hätten, die sagten, dass man sich mit den Geflüchteten Antisemitismus in Land geholt habe, antwortete Rubinstein. „Das wäre schön, wenn es so gewesen wäre. Dann hätten wir die früheren Anschläge nicht gehabt. Antisemitismus hat in Europa eine 1000-jährige Geschichte.“
Die Frage einer Zuschauerin per Mail löste Kopfschütteln aus. Ob Gewalt gegen Christen und Deutsche durch Juden und Muslimen ausgeblendet würde, wollte sie wissen. Rabeya Müller und Rubinstein gleichzeitig: „Wir sind Deutsche.“ Und Müller zusätzlich: „Das tut weh.“ Beim Thema AfD reagierte Lammert: „Im Unterschied zu Weimar hat die AfD weniger als 15 Prozent im Bundestag. Die haushohe Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ist sich einig in Verteidigung der Demokratie. In Weimar waren vielen Parlamentariern die eigenen Positionen wichtiger als die Zukunft des System.
Demokratie und Religion heute
Heute sind wir da viel stabiler. Heute ist fast allen die Aufrechterhaltung des Regelsystems wichtiger als eigene Interessen.“ Das Verhältnis von Religion und Kirche sei nicht frei von Spannungen. Institutionen würden ihren hohen Anforderungen nie gerecht, weil sie von Menschen gemacht seien. „Die Katholiken haben bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil 2000 Jahre gebraucht, um ihren Frieden mit der Demokratie zu machen.“ Allerdings: Der Wahrheitsanspruch der Religion sei systemimmanent. Müller nannte „den Koran mit dem Grundgesetz vereinbar“. Für Rubinstein ist das Judentum eine demokratische Religion. „Gott hat uns die Freiheit gelassen, wie wir unsere Religion leben. Ich kann zum Beispiel entscheiden, ob ich einer orthodoxen Gemeinde oder einer liberalen angehören möchte.“ Müller ergänzte zum Schluss: „Allah ist vor allem wütend auf die, die ihren Verstand nicht benutzen.“
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
Der Beitrag „Allah ist vor allem wütend auf die, die ihren Verstand nicht benutzen.“ erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.