Diversität, Ethik und Blick auf Tierrechte: Stefan Hößl ist Studienleiter bei der Melanchthon-Akademie
Dr. Stefan Hößl ist neuer Studienleiter bei der Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und für die Fachbereiche Politik, Gesellschaft und Medien zuständig.
Akademieleiter Dr. Martin Bock und das APK haben mit ihm ein Interview geführt:
Können Sie uns etwas über Ihren Hintergrund erzählen?
Stefan Hößl: Ich bin Erziehungswissenschaftler und Pädagoge. Nach meinem Studium in Hessen und den ersten beruflichen Tätigkeiten in einem Forschungsprojekt erhielt meine Doktormutter einen Ruf an die Universität zu Köln (UzK). Als Mitarbeiter nutzte ich damals die neuen Perspektiven und verlagerte im Jahr 2011 meinen Lebensmittelpunkt von der Lahn an den Rhein. Beruflich-fachlich und auch hinsichtlich meiner ehrenamtlichen Tätigkeiten war seit jeher die große Frage danach, wie demokratischer Zusammenhalt in der bundesrepublikanischen Migrationsgesellschaft gelingen kann, für mich von besonderer Bedeutung. Relativ kurz nach meinem Umzug nach Köln habe ich entsprechend dieser Fokussierungen bereits an einer ersten Tagung zum Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus mitgearbeitet, die in Kooperation mit der Melanchthon-Akademie stattfand. Nach einigen Jahren in der Forschung und Lehre an hessischen und nordrhein-westfälischen Universitäten und nach einer Promotionsförderung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung, die mir neben vielem anderen auch einen längeren Forschungsaufenthalt an der Tel Aviv University ermöglichte, war ich die letzten fast fünf Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-DOK tätig, wo ich für die Bildungsarbeit der Stadt Köln gegen Antisemitismus (mit)verantwortlich war. 2019 wurde ich an der UzK mit einer Arbeit promoviert, in der ich mit einer Religiosität wertschätzenden und rassismuskritisch inspirierten Analysehaltung zur Frage nach „Antisemitismus unter ‚muslimischen Jugendlichen‘“ gearbeitet habe. Dabei handelt es sich um eine Thematik, die ganz zentrale Fragen des Zusammenlebens in einer pluralen demokratischen Gesellschaft sowie von Diskriminierung, Ausgrenzung und Stigmatisierung auf mehreren Ebenen berührt. Aus den Ergebnissen habe ich Reflexionen für die antisemitismuskritische Bildungsarbeit abgeleitet.
Was hat Sie dazu bewegt, sich für die Melanchthon-Akademie zu entscheiden und welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihren Fachbereichen setzen?
Stefan Hößl: Na ja, für eine Zusammenarbeit mit der Akademie bzw. eine Mitarbeit dort habe ich mich lange vor dem Jahr 2024 entschieden. Seit über zehn Jahren bestand bereits ein guter kollegialer Austausch mit mehreren recht erfolgreichen und schönen Kooperationsprojekten. Seit 2020 hatte ich darüber hinaus die Möglichkeit, im Fachausschuss der Akademie mitzuwirken und so auch mitzugestalten. Vieles war mir entsprechend vertraut und als mit dem Ruhestand von Joachim Ziefle die Frage nach der Neubesetzung des Fachbereichs näher rückte, wurde mir persönlich deutlich, dass das Ganze auf vielen verschiedenen Ebenen sehr gut passen würde – thematisch, in sozialer Hinsicht u.v.m. Besonders reizvoll und letztlich der ausschlaggebende Grund für den Wechsel war die Perspektive einer themenbezogenen Neujustierung, die mit enormen Erweiterungen einhergeht und mit der Möglichkeit verbunden ist, viele verschiedene Themen im beruflichen Kontext zu bearbeiten, die mir persönlich sehr am Herzen liegen, für die in bisherigen Arbeitszusammenhängen aber kein Raum war. Es klingt vielleicht zu hochtrabend, aber es ist so: Der Wechsel zur Akademie ist durchaus Teil (m)eines Emanzipationsprojekts.
Wann haben Sie begonnen und wie wurden Sie aufgenommen?
Stefan Hößl: Am 1. April startete ich meine Tätigkeit als Studienleiter – und das war in der Tat eine sehr turbulente Zeit, mitten in den Planungen für das kommende Halbjahr. Dass ich in einem lieben und solidarischen Team gelandet bin, habe ich aber sofort gemerkt: Katrin Tölle im Sekretariat, Dr. Martin Bock als Akademie-Leiter, die anderen Kolleg*innen – alle haben schon viel mitgedacht, vorbereitet und weggearbeitet, was das neue, mittlerweile veröffentlichte Programm für zweite Halbjahr 2024 betraf, und standen mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen immer bereit, wenn ich mich mit einem fragenden Gesicht näherte. Insofern bin ich keineswegs bei null gestartet.
Was planen Sie für die Zukunft?
Stefan Hößl: Natürlich hatte mein Vorgänger Joachim Ziefle viele Kompetenzen und inhaltliche Schwerpunktsetzungen, die ich nicht mitbringe – und andersrum. Insofern zeigt der Abgleich dieses und des letzten Programms schon deutlich, dass Spannendes, Bewährtes und auf wichtigen Kooperationen Aufbauendes weitergeführt wird, dass aber auch neue Akzente gesetzt werden und Schwerpunkte hinzukommen. Im Bereich politischer Bildung waren Kernthemen für mich immer im Bereich „Antidemokratische Phänomene“ verortet. Dazu zählt der Fokus insb. auf Rechtsextremismus und Islamismus, auf Rassismus, Homo-/Transfeindlichkeit, aber vor allem immer auch auf Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Artikulationsformen. Das wird auch in meinem Verantwortungsbereich bei der Melanchthon-Akademie so bleiben; schlichtweg, weil diese Themen mit Blick auf den Erhalt und die Festigung von Demokratie in höchstem Maße bedeutsam sind. Die Wichtigkeit, die ich daneben Diversität, Queerness oder auch ganz anders Gelagertem wie Ethik und Moral in Naturbezogenem und mit Blick auf Tierrechte beimesse, werden aber sicher auch in Zukunft ihren Niederschlag finden.
Worauf dürfen sich die Teilnehmenden außerdem freuen?
Stefan Hößl: Was sich jetzt mit dem Erscheinen des neuen Halbjahresprogramms schon verändert hat, ist ein kleines stückweit die Struktur der Angebote in meinem Arbeitsbereich. Aufgrund des Umzugs in den Sachsenring 6 und der Interimszeit bis zum Bezug des Campus Kartause leben wir als Akademie in einem ‚Dazwischen‘. Mit dem Philosophen François Jullien habe ich ein solches ‚Da-/Zwischen‘ in den letzten Jahren immens zu schätzen gelernt, drängt es doch zum Bruch mit Selbstverständlichkeiten und Eingefahrenem, auch wenn das nicht immer leicht fällt und einfach ist. Ich jedenfalls freue mich auf das Nutzen neuer Möglichkeiten, die zuvor so nicht denkbar waren oder die nicht gedacht wurden; dazu gehört z. B. eine stärkere Ausrichtung der politischen Bildung (weg von einer Komm-Struktur) hin zu einer Geh-Struktur, d. h. mit Angeboten da hinzugehen, wo sich Interessierte befinden. Das erste (dreistündige) Veranstaltungsformat, das nach Absprache mit mir flexibel für Kleingruppen in Gemeinden in Köln und Region buchbar ist, fokussiert auf Antisemitismus als aktueller und realer Gefahr. Die EKD betont ja richtigerweise, dass „[d]er Widerspruch gegen Antisemitismus […] nicht nur die Sache einiger weniger [ist], sondern eine Verantwortung aller Christ:innen.“ Um ihm jedoch überhaupt begegnen zu können, ist es notwendig, ihn als solchen zu erkennen; und überhaupt: Wie kann Widerspruch dann ganz konkret aussehen? Genau das werden wir in den einsteiger*innenfreundlichen Workshops vor Ort in den Gemeinden mit viel Zeit für Gespräche vertiefen und unter Einbezug von Geschichten junger jüdischer Kölner*innen diskutieren, wie solidarische Haltungen und darüber hinaus natürlich auch Strategien gegen Antisemitismus aussehen können.
Wenn bald der Grundstein für den Campus Kartause gelegt wird, wird man in den Grundstein Dokumente von heute einlegen, mit denen auch gesagt wird: Dafür wird dieses Haus gebaut. Was ist aus Ihrer Perspektive wichtig für den neuen Grundstein evangelischer Bildungsarbeit in Köln?
Wenn ich über gegenwärtige Herausforderungen von Demokratie und über meine eigene Arbeit sowie meinen Verantwortungsbereich nachdenke, dann ist für mich besonders bedeutsam, was Amartya Sen in den Blick rückt, wenn er schreibt, dass „die Vernachlässigung der Vielfalt unserer Zugehörigkeiten die Welt verfinstert, in der wir leben“. Sich immer wieder die Multireferenzialität menschlicher Bezüge in der Welt bewusst zu machen und Menschen zum Ausleben möglichst vieler dieser anzuregen sowie reduktionistischen WIR-DIE-Verengungen in Bezug auf Selbst- und Fremdidentifizierungen über nur eine dieser Dimensionen entgegenzuarbeiten – das ist für mich ein ganz wesentliches Fundament meiner Arbeit.
Dr. Stefan Hößl: Kontakt
Studienleiter, zuständig für die Fachbereiche:
– Politik, Gesellschaft und Medien
Telefon: 0221-931803-23
hoessl@melanchthon-akademie.de
Text: Martin Bock/APK/Stefan Hößl
Foto(s): Jörn Neumann
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