Einsamkeit kann jeden treffen: Podiumsdiskussion im Altenberger Forum

Das 26. Altenberger Forum befasste sich mit einem brandaktuellen Thema, der Einsamkeit. Eine hochkarätige Diskussionsrunde diskutierte viele Aspekte der Einsamkeit, auch das Publikum konnte sich direkt einbringen. Dazu gab es zunächst eine Andacht im Altenberger Dom, in deren Verlauf die Lesung sowie Superintendentin Andrea Vogel in ihrer Predigt auf das Thema einstimmten. Einsamkeit war schon zu Jesu Zeiten ein Thema. In der Lesung wurde aus Johannes zitiert, dort ist die Rede davon, dass Jesus einen Menschen fand, der 38 Jahre krank war. Auf die Frage, ob er gesund werden wolle, kam nur die Antwort: Herr, ich habe keinen Menschen. „Einsamkeit tut weh, weil es ein Mangelzustand ist. Die Beziehung fehlt, das Gegenüber fehlt, Nähe und Wärme fehlen“, so Andrea Vogel in ihrer Predigt. In der Pandemie sei das Gefühl von Einsamkeit weiter gewachsen und in allen Gesellschaftsschichten angekommen. Ob Seniorinnen und Senioren, Kinder und Jugendliche oder Menschen mitten im Leben „Einsamkeit ist zu einem Massenphänomen geworden.“

Podium: Einsamkeit aus verschiedenen Blickwinkeln

Moderatorin Melanie Wiekens eröffnete die Diskussion  mit einer Statistik. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen würden sich 12,8 Prozent der Deutschen einsam fühlen, bei den jüngeren Menschen seien das sogar 14,8 Prozent. In verschiedenen Statements beleuchteten die Diskussionsteilnehmer Einsamkeit aus ihrer Sicht.

Autor und Journalist Egon Koch, der ein Radiofeature zum Thema Einsamkeit gemacht hat, warnt davor, Einsamkeit nur mit Senioren zu verbinden. „Das macht man zwar im ersten Anlauf, aber das trifft auch junge Menschen.“ In seinem Feature hat er zwei junge Männer näher begleitet und festgestellt, dass beide Vertrauensverluste in jungen Jahren erlitten haben. Hauptursache für Einsamkeit sei das verloren gegangene Urvertrauen, es gebe Angst vor Bindungen, schnell finde der Mensch sich einsam wieder. „Einsamkeit ist ein Teufelskreis, der Weg aus dem Schneckenhaus wird mit der Zeit immer länger.“

Die CDU-Politikerin und Autorin Diana Kinnert hat sich gerade in einem Buch mit dem Thema Einsamkeit befasst. Auch sie sieht Einsamkeit als gesellschaftlich relevantes Problem. „Oft ist die heutige Schnelligkeit Ursache von Einsamkeit, weil viele einfach nicht mitkommen.“ In Großbritannien habe man das Problem offiziell als gesellschaftlich relevant angesehen und zu Zeiten von Premierministerin Theresa May ein Ministerium gegen Einsamkeit gegründet, bei dessen Aufbau sie mitgewirkt hat. „Das Internet schafft Entgrenzung, auch wenn man das Handy auf Flugmodus hat, wird auf einen zugegriffen.“ Genau das mache Beziehungen schwierig. Auch die zunehmende Belastung durch die Korrektheitsansprüche der Gesellschaft trügen das Ihre dazu bei.

Einsamkeit durchbrechen

Pfarrerin Dr. Dorit Felsch, gleichzeitig Leiterin der evangelischen Telefonseelsorge, hat täglich mit dem Thema Einsamkeit zu tun. Etwa ein Fünftel der Gespräche drehe sich um dieses Thema. „Am Telefon sind die unterschiedlichsten Menschen, wir haben keine Gesichter dazu, doch wir sind da, wo die Menschen uns gerade brauchen.“ Durch Gespräche gelinge es oft, Einsamkeit zu durchbrechen.

Psychotherapeut und Buchautor Dr. Dieter Funke sieht Einsamkeit als hochsubjektives Gefühl „Wir wollen Individuen sein, der Preis dafür ist eine Art Einsamkeit.“ Eine Hauptursache für Einsamkeit sieht er in den zunehmend fragilen Beziehungsnetzwerken, was dazu führt, dass Menschen immer wieder verlassen werden können. „Einsamkeit braucht einen Zufluchtsort. Der sei in den ersten Lebensjahren entstanden.“ Ein Kind brauche Respekt, Bindung und Emotion, was Urvertrauen schafft.  Das sei heute oft gefährdet, „da Eltern oft selbst einsam sind und das Kind als Ersatzpartner sehen.“ Damit werde die Bindungsfähigkeit der Kinder gestört.

Einigkeit in der Diskussion – Einsamkeit ist in der Gesellschaft angekommen

Von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde festgestellt, dass Einsamkeit ein Phänomen sei, was alle betreffen würde. „Einsamkeit tötet mehr als rauchen“ – diese These aus einem Buch von Manfred Spitzer machte hellhörig. „Wer einsam ist, hat erhöhte körperliche Risiken, daraus entstehen Krankheiten mit Todesfolge“, erläuterte Egon Koch. Diana Kinnert ergänzte, dass „die medizinischen Folgen der Einsamkeit wissenschaftlich in Studien erwiesen wurden.“ Das Home Office werde von vielen Unternehmen dahingehend ausgenutzt, dass Gemeinschaften zerschlagen und so die Solidarität unter den Angestellten nicht mehr aufgebaut werden könne.

Die große Frage aus dem Publikum war, wie man Einsamkeit überwinden kann. Dazu gab es verschiedene Vorschläge. Man solle mit der Stigmatisierung einsamer Menschen aufhören, die Leute seien das selber schuld. Nur so bekommen sie eine Chance, der Einsamkeit zu entkommen. Die Kirche habe eine wichtige Rolle, sie biete eine echte Gemeinschaft an. Sie muss da sein, wo der einsame Mensch gerade ist, das sei eine riesige Hilfe. Dr. Dieter Funke wünscht sich eine Kultur der Verbundenheit. „Das Wort Einsamkeit soll einfach gestrichen werden, das ist total negativ besetzt.“ Diana Kinnert wünscht sich schließlich eine gesellschaftliche Debatte, aus der reale Verbindungen entstehen mit all ihren Konflikten und Problemen. „Wir müssen verstehen, dass Beziehung nicht nur harmonisch ist, dann können wir auch wieder richtige Beziehungen eingehen.“

Die Veranstaltung kann man sich auf YouTube in voller Länge ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=Zd2Z7KvtZnc

Text: Dr. Klemens Surmann
Foto(s): Dr. Klemens Surmann

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