„Einsamkeit macht messbar krank“: Professorin Dr. Susanne Bücker im Haus der Evangelischen Kirche
Stadtsuperintendent Bernhard Seiger begrüßte die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zum Auftakt des Symposiums „Einsamkeit in der Stadtgesellschaft – alles nur Privatsache“ im Haus der Evangelischen Kirche. Das Symposium organisiert hatten der Förderverein der Evangelischen Telefonseelsorge Köln und die Melanchthon-Akademie.
Einsamkeit in der Stadtgesellschaft: „Die Telefonseelsorge weiß um die einsamen Stunden vor allem an Feiertagen“, sagte Seiger. Das Thema sei ihm vor allem bei Hausbesuchen im geschützten Raum begegnet. Einsamkeit müsse man in ihrer soziologischen, politischen und theologischen Dimension betrachten. Der Stadtsuperintendent erinnerte an das Motto der Fastenaktion „7 Wochen ohne“. Das lautete: „Komm rüber. Sieben Wochen ohne Alleingänge“.
Jeder fünfte Jugendliche und junge Erwachsene fühlt sich einsam
Im November sei eine Einsamkeitsstudie veröffentlicht worden. Jeder fünfte Jugendliche und junge Erwachsene habe angegeben, sich einsam zu fühlen. „Die Kommunikation hat sich verändert“, so Seiger. Auf vielen Social Media-Kanälen werde nur das Schöne gezeigt, Einsamkeit komme dort nicht vor. „Traurigkeit gehört zum Leben wie Glück und Liebe.“ Der Einsamkeit entgegenwirken werde man mit einer Umplanung des Campus Kartause. Statt in Einzelzimmern werden die Studierenden, die dort einmal wohnen, zu zweit in einer Wohnung leben. In Gesprächen mit dem Kölner Studierendenwerk habe man erfahren, dass die Studierenden sich diese Form der Gemeinschaft wünschen.
In Psalm 139 heiße es: „Herr, du durchschaust mich, du kennst mich durch und durch.“ Wer so sprechen könne, sei nicht einsam, erklärte Seiger. Es sei tröstlich, so angenommen zu sein. „Gott ist nichts Menschliches fremd.“ Glaube mache resilient gegen Einsamkeit. Aber auch die Telefonseelsorge sei ein wichtiger Baustein gegen Einsamkeit. Zur Eröffnung des Symposiums war auch Matthias Heidmaier gekommen, Staatssekretär im Landesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. „Das Thema ist politisch. Es betrifft Kinder, Jugendliche, Betagte, Alleinerziehende und auch pflegende Angehörige.“
2035 werde es in NRW fünf Millionen Menschen geben, die über 65 Jahre alt sind. Der demografische Wandel werde dafür sorgen, dass Einsamkeit zunehme. Vor allem müsse man darauf achten, dass das Ehrenamt nicht „zum billigen Jakob“ für die Lösung politischer Probleme werde. Zwar stiegen die Ausbildungszahlen im Pflegeberuf leicht an. Aber die Mehrheit der Älteren werde zu Hause gepflegt. In Corona-Zeiten habe man viel Nachbarschaftshilfe erlebt. Die gelte es in Zukunft zu stärken und von Bürokratie zu befreien. Die Babyboomer gingen „topfit“ in Rente. Gleichzeitig verlasse jeder fünfte Jugendliche die Schule ohne Ausbildungsperspektive. Die könnten jemand Älteren als „Paten“ gut gebrauchen. Und der Pate täte etwas gegen Einsamkeit.
Professorin Dr. Susanne Bücker lehrt Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Fakultät für Gesundheit, Department für Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke. Sie forscht seit sieben Jahren zum Thema Einsamkeit. Bücker, ganz Wissenschaftlerin, lieferte erst einmal eine Definition: „Einsamkeit ist die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlich bestehenden sozialen Beziehungen.“ Die Qualität der Beziehungen sei häufig wichtiger als die Quantität. Sie unterschied zwischen emotionaler Einsamkeit etwa in einer Paarbeziehung, sozialer in einem Netzwerk und kollektiver in einer Gesellschaft, in der man keinen Platz finde.
„Einsamkeit macht messbar krank“
Bücker identifizierte Menschen aus sogenannten vulnerablen Gruppen, die überdurchschnittlich von Einsamkeit betroffen sind: Empfänger von Sozialleistungen und Menschen mit geringem Einkommen, Menschen mit Behinderungen und mit Pflegebedarf, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit psychischen Störungen, junge Eltern und Alleinerziehende sowie pflegende Angehörige. Risikofaktoren seien die Geburt des ersten Kindes, der Eintritt in die Rente und der Tod des Partners. Praktische Auswirkungen auf die Gesundheit der Vereinsamten seien schlechte Ernährung, weniger physische Aktivitäten, schlechter Schlaf, Rauchen und Alkohol sowie fehlende medizinische Betreuung. Dazu erzeuge Einsamkeit Stress, Depressionen und Angstgefühle.
„Einsamkeit macht messbar krank“, resümierte die Professorin. „Einsamkeit ist verbunden mit einem circa 40 Prozent gestiegenen Risiko, an Demenz zu erkranken, unabhängig von sozialer Isolation und genetischen Risikofaktoren.“ Darüber hinaus führe Einsamkeit zur Selbststigmatisierung: „Ich bin nichts wert.“ Dieses Stigma entpuppe sich als Hindernis für die Inanspruchnahme psychosozialer Versorgung. „Wie oft am Tag denken Sie an Ihre Zahngesundheit? Wie oft am Tag denken Sie an Ihre soziale Gesundheit?“, fragte Bücker in die Runde. Im Kampf gegen Einsamkeit forderte sie, Risikofaktoren zu benennen und beispielsweise Armut zu verhindern sowie regelmäßige Check-Ups der sozialen Einbindung etwa durch Hausärzte, Schulen und Pflegekräfte. Die Unterstützung müsse nachhaltig sein, um Rückfällen vorzubeugen. Die Professorin warb für das Kompetenznetz Einsamkeit, das einen wichtigen Beitrag leiste gegen Vereinsamung.
Evangelische TelefonSeelsorge Köln
Die Evangelische TelefonSeelsorge Köln können Sie unter der Rufnummer 0 800 111 0 111 Tag und Nacht kostenlos anrufen – auch an Wochenenden und Feiertagen. Immer ist dort jemand zu sprechen, eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, die/der erfahren und geschult ist. Alle sind gerne bereit, Ihnen aufmerksames Interesse und Anteilnahme in einem Gespräch entgegenzubringen. Tausende Anrufe erreichen jährlich die Evangelische TelefonSeelsorge Köln, rund 80 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich hier.
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
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