Engel in Blau – 125 Jahre Kölner Bahnhofsmission – eine ökumenische Erfolgsgeschichte
Manche Engel haben keine Flügel. Stattdessen tragen sie eine blaue Weste. Darauf steht: „Nächste Hilfe – Bahnhofsmission“. Analog zur Nächstenliebe könnte es auch Nächstenhilfe heißen. Denn um beides geht es in der ökumenisch getragenen Bahnhofsmission an Gleis 1 des Kölner Hauptbahnhofs. Und das seit 125 Jahren. Jetzt wurde das Jubiläum, das schon das ganze Jahr mit einer Vielzahl von Veranstaltungen im Fokus steht, mit einem Gottesdienst in der AntoniterCityKirche und einem Festakt im AntoniterQuartier gefeiert.
„Wir sind Rentner und Studenten, manche laut und manche leise. Blaue Westen, bunte Herzen, su sin mer und mer sin eins“ – so sind wir und wir sind eins. Das eigens umgedichtete Lied der kölschen Band Kasalla „Mer sin eins“ bildete die Klammer von Gottesdienst und Festakt. Und es gab nicht nur – mit „Ruhestandshuhn“ Janus Fröhlich an der Drum-Box – den musikalischen Takt vor, sondern machte deutlich, was die Bahnhofsmission Köln auszeichnet: Hier engagieren sich zahlreiche Menschen ehrenamtlich. Gemeinsam mit dem hauptamtlichen Team sind sie „einfach da“, wie es der Slogan verspricht. Insgesamt arbeiten 70 Menschen in der Bahnhofsmission.
Mancher sucht hier nur eine Atempause vom Alltagsleben auf der Straße, mancher braucht Hilfe, weil er sich in dem modernen Bahnsystem nicht mehr zurechtfindet. Hierher kommen Obdachlose und Banker, Reisende und Menschen, die Hilfe brauchen, um eine Lebenskrise zu überstehen – und die nicht wissen, wohin sie sonst gehen können. Und seit einiger Zeit wird die Bahnhofsmission Köln an jedem ersten Samstag im Monat zum reinen „FrauenZimmer“ – einem Schutzraum, in dem Frauen ohne Stress, Druck oder Hektik miteinander ins Gespräch kommen und auftanken können.
Ein Stück Zuhause
„Am Bahnhof kulminieren die Herausforderungen des Lebens“, sagte Pfarrer Dr. Joachim Windolph im Gottesdienst. „Und dafür sind Sie da“, wandte er sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In fast jedem Leben komme einmal der Punkt, wo der Mensch nicht mehr weiterwisse, wo alles zusammenzubrechen drohe oder es zumindest den Anschein habe. Dann, so Pfarrerin Marina von Ameln, könne es „ein wahrer Segen sein, plötzlich jemanden an der Seite zu haben, der einem Hilfe anbietet“. Das könne eine stützende Hand sein, eine verständliche „Wegbeschreibung“ oder ein offenes Ohr.
Für den Wohnungslosen, der jeden Morgen „meine vier Tassen Kaffee“ in der Bahnhofsmission trinkt, dort die Zeitung liest oder mit Menschen ins Gespräch kommt, ist der Ort ein Stück Zuhause, auch wenn er es so nicht formuliert hat. Was er aber klar macht: Das „Lebenselixier“, von dem er spricht, ist nicht nur der Kaffee mit etwas Milch und Zucker.
„Geben Sie nie auf, das Leben genießen zu wollen“
Oft gehen die Hilfen weit über den Moment hinaus und auch weit über die tägliche oder regelmäßige Begegnung: Einer jungen Frau konnten die Mitarbeitenden helfen, sich aus der Zwangsprostitution zu befreien, indem sie die Migrantin an Stellen verwiesen, die in so einem Fall konkret beistehen und weiterhelfen können. Dass die junge Frau eines Tages bei ihnen über die Schwelle trat, verdankte sie einer anderen Frau. „Ich habe gesehen, dass sie Hilfe braucht“, sagte diese – und brachte die andere zur Bahnhofsmission.
Manchmal sei sicher nicht mehr klar, wer der Beschenkte sei in dieser Beziehung auf Zeit zwischen den Mitarbeitenden der Bahnhofsmission und den Gästen, so Windolph. Das bestätigte eine junge Mitarbeiterin, die von einer älteren Dame berichtete, die trotz einer halbseitigen Lähmung und anderer Erkrankungen viel Stärke ausgestrahlt habe. Sie benötigte Hilfe beim Umsteigen und weil sich die Bahn verspätete, kamen die beiden Frauen ins Gespräch. Die Ältere erzählte von Herausforderungen in ihrem Leben. Und dann gab sie der Jüngeren eine Lebenslehre mit auf den Weg: „Selbst wenn das Leben durch äußere oder andere Umstände anders verläuft als geplant, geben Sie nie auf, das Leben genießen zu wollen!“
Ein sozialer Knotenpunkt
Pfarrerin Susanne Beuth, Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Mitte, erinnerte sich mit einem Schmunzeln an eine andere Art von „Lernen fürs Leben“: Vor 40 Jahren hatte die damalige Theologiestudentin ein Praktikum in der Bahnhofsmission absolviert – und musste erst einmal lernen, eine Schürze zu stärken. „Das war nicht wirklich wichtig fürs Leben“, sagte sie lachend. Aber die Verbindung zur Bahnhofsmission blieb – Beuth übernahm nach dem Praktikum die damals noch existierenden Nachtdienste.
Dr. Frank Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes, zeigte sich stolz auf die Einrichtung, die – katholischerseits vom Sozialverband InVia getragen – zur „Verbandsfamilie“ gehöre: „Für uns ist es ein Aushängeschild und ein wahnsinnig guter Knotenpunkt“, sagte er. „Nicht nur ein Verkehrsknotenpunkt, sondern ein sozialer Knotenpunkt.“ In Nordrhein-Westfalen gebe es 24 Bahnhofsmissionen mit 500 ehrenamtlichen Mitarbeitenden und nur 30 Hauptamtlichen. „Ich bin da bollestolz drauf!“, so Hensel.
Wie ein Seismograf für die Stadt
Andrea Redding, Vorständin von InVia, erinnerte daran, dass die Stadt Köln beziehungsweise Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor einigen Monaten die Leitungen und eine Abordnung der Bahnhofsmission ins Rathaus eingeladen hatten, wo sie sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen durften. Sie hätte sich gewünscht, dass Reker auch beim Festakt dabei gewesen wäre.
Martina Schönhals, als Geschäftsführerin der Diakonie Köln und Region die zweite Trägervertreterin neben Redding, bekräftigte dies: „Die Stadt Köln kann der Bahnhofsmission wirklich dankbar sein! Die ist wie ein Seismograf. Die Themen, die in der Stadt Köln Brisanz bekommen, schlagen zuerst in der Bahnhofsmission auf.“
Mit den vielen Einrichtungen „drumherum“, von der Polizei über die Bahnhofsmanager bis zu den anderen sozialen Einrichtungen wie der Überlebensstation GULLIVER für Obdachlose ergänze sich die Bahnhofsmission „zu einem ganz großen Hilfe-Netzwerk“, so Schönhals.
Mit Blick auf die künftige Arbeit betonte Hensel, dass es landesweit für die Bahnhofsmissionen bessere und gesicherte Rahmenbedingungen bräuchte. Die Stadt Köln unterstütze die Bahnhofsmission auch finanziell, das sei jedoch nicht für alle 24 in NRW gegeben. „Es braucht etwas, dass man sich nicht finanziell immer von Jahr zu Jahr hangeln muss“, sagte der Diözesan-Caritasdirektor. Hier seien alle in der Verantwortung. „Wir brauchen mehr Sicherheit, auch eine finanzielle Absicherung und eine klare strukturelle Zusage. Und für die werden wir kämpfen und eintreten.“
„Mit Herz am Dom“
„Die Bahnhofsmission ist darauf angewiesen, dass Menschen sich engagieren, sich einbringen und sich verantwortlich fühlen“, bekräftigte Ann-Christin Frauenkron, die evangelische Leiterin der Bahnhofsmission Köln. Die Herausforderungen in der Stadt und am Bahnhof würden in Zukunft nicht kleiner, „sondern eher größer“. Aber wenn sie in all die Gesichter der engagierten Mitarbeitenden blicke, sei sie zuversichtlich, denn: „Mit Herz am Dom“, wie es im neugetexteten Lied hieß, „das füllen Sie mit Leben!“
Ursula Lennartz, die katholische Leiterin, ergänzte: „Wir brauchen wirklich Menschen, die sich interessieren, auch für gesellschaftspolitische Vorgänge. Menschen, denen nicht egal ist: Wie leben wir miteinander? Wollen wir aufeinander achtgeben oder wie soll unser gemeinsames Leben aussehen?“ Die Bahnhofsmission habe auf der einen Seite immer große Ideen und sei auf der anderen Seite eine so konkrete Unterstützung von Menschen. Und darum hatte Lennartz auch einen ganz konkreten Wunsch: „Eine Klimaanlage. Denn die Menschen, die mit ihren Problemen zu uns kommen, die haben diese Probleme ja nicht nur im Winter, sondern auch jetzt im Sommer.“
Die Bahnhofsmission sei ein Schutzraum für die Menschen – und das gilt unabhängig davon, woher jemand kommt, welche Konfession oder Religion er hat oder ob überhaupt eine und gleich in welcher Lebenssituation er oder sie sich gerade befindet. Mit Blick auf die Zukunft zeigte sich auch Lennartz zuversichtlich. Auch künftig werde es Menschen geben, „die dafür ein Herz haben“.
Die Bahnhofsmission an Gleis 1 des Kölner Hauptbahnhofs ist täglich von 8 bis 18 Uhr geöffnet.
www.bahnhofsmission-koeln.de
Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Hildegard Mathies
Der Beitrag Engel in Blau – 125 Jahre Kölner Bahnhofsmission – eine ökumenische Erfolgsgeschichte erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.