Joachim Ziefle geht in den Ruhestand: Ein Interview über politische Bildungsarbeit mit Filmen

Im Dezember 2023 geht Joachim Ziefle als Studienleiter für politische und Medienbildung an der Melanchthon-Akademie in den Ruhestand. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, hat ein Interview mit ihm geführt:

Joachim, ein Fokus deiner politischen Bildungsarbeit an der Melanchthon-Akademie war die Auseinandersetzung mit Filmen. Weshalb hat dich gerade dieses Medium gereizt?

Joachim Ziefle: Das Medium Film – und damit meine ich den Dokumentar- und den Spielfilm, der auch in den Kinos gezeigt werden kann, weist ein breit gefächertes Spektrum auf: ästhetisch, sinnlich, ausdrucksstark und lehrreich. Ein guter Film regt nahezu alle Sinne an, er ist identitätsstiftend und besitzt die Fähigkeit verlorene Erinnerungen wachzurufen. In bewegten Bildern spiegeln sich die jeweiligen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft wider und der Film ist ein Instrument der Geschichtsvermittlung. Also Gründe genug, damit in der politischen Bildungsarbeit Akzente zu setzen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass Filme immer subjektiv sind. Sie können die Gesellschaft nicht objektiv abbilden, weil bereits jede Kameraeinstellung, jeder Dialog und jeder Blickwinkel die Realität filtert. Die filmische Wirklichkeit ist immer inszeniert, auch beim Dokumentarfilm. Mit Filmen in der Bildung zu arbeiten, heißt für mich, sie auch gleichzeitig kritisch zu reflektieren.

Die Filme, die du mit anderen in den Mittelpunkt gestellt hast, spiegeln gesellschaftliche Bewegungen, Aufbrüche, Verletzungen und Brüche in der jeweiligen Region. In welcher Weise kommen Zuschauende in der Arbeit mit Filmen mit diesen Bewegungen in Berührung?

Joachim Ziefle: Ich möchte hierzu kurz ein Beispiel anführen: Wir haben vor über zehn Jahren den Dokumentarfilm „Kinder der Steine, Kinder der Mauer“ von Robert Krieg und Monika Nolte im Kölner Filmhaus gezeigt. Die beiden Filmemacher:innen zeichneten auf nachdenklich stimmender wie höchst emotionaler Weise die Entwicklung von sechs palästinensischen Kindern nach, deren persönliches Schicksal eng mit dem politischen ihres Volkes und Landes verbunden ist. Der Film bewertet nicht, führt aber, nach meinem Verständnis, sehr gelungen in den politischen Konflikt zwischen Israel und Palästina ein. Die anschließende Diskussion mit den Kinobesuchern und dem Regisseur zeigten mir, dass die Teilnehmenden ganz eng bei den Kindern waren, dass sie die Zusammenhänge, die im Film dargestellt werden, verstanden hatten, und sie das Gesehene und Gefühlte mit ihren eigenen Bildern zum Nahostkonflikt in neue Zusammenhänge setzten.

Filmarbeit in Köln ist häufig auch Zusammenarbeit. Kannst du von dieser Zusammenarbeit auf der Ebene der Stadt erzählen? Und: Weshalb hatten andere Partner eigentlich Interesse, mit „uns“, mit der Melanchthon-Akademie, zusammenzuwirken?

Joachim Ziefle: Wir, die Melanchthon-Akademie, sind für Bildungsarbeit verantwortlich, Kooperationspartner wie etwa Nichtregierungsorganisationen oder freiberufliche Kulturmaneger:innen und Künster:innen stehen für andere inhaltliche Kompetenzen, Kölner Programmkinos für technische Kompetenz. Da kommt eine Menge zusammen und das ergänzt sich bestens. Bildungsarbeit braucht aus meiner Sicht auch vielflächige Zusammenarbeit und erfolgreiche Kommunikation. Darüber hinaus bin ich der Ansicht, dass sich die klassische Rolle des Erwachsenenbildners überholt hat. Ich fühle mich aktuell mehr als Akteur und Impulsgeber, Manager und Vernetzer und in hohem Maße auch als Moderator in politischen Belangen. Und mit unserer Bildungseinrichtung, der Melanchthon-Akademie, bieten wir eine hauptamtliche Struktur mit Knowhow und Serviceleistungen, die z. B. für Freischaffende eine wertvolle Unterstützung sein können.

Ein großes Projekt auch über Köln hinaus war der „Fernsehworkshop Entwicklungspolitik“ mit dem „Eine Welt-Filmpreis NRW“, den du viele Jahre begleitet hast. Kannst du uns darüber berichten?

Joachim Ziefle: Ich war 15 Jahre lang im Geschäftsführenden Ausschuss des Fernsehworkshops Entwicklungspolitik, ein bundesweiter Zusammenschluss von Filmschaffenden, Bildungsträgern, Vertreter:innen von Organisationen wie Adveniat oder Brot für die Welt. Dabei habe ich sehr viel über den Dokumentarfilm und über die Planung und Vermarktung von Filmen gelernt. Ziel des Verbunds ist es, Filme, die einen anderen Blick auf die Länder des Südens werfen für die Bildungsarbeit in Deutschland zu begeistern. Alle zwei Jahre hat der Fernsehworkshop Entwicklungspolitik im deutschsprachigen Raum dazu einen Wettbewerb ausgelotet, der mit dem „Eine-Welt-Filmpreis NRW“ seinen Höhepunkt gefunden hat. Der Wettbewerb wurde schließlich seit Anfang der 2000 Jahre in Verantwortung von Aktion Weißes Friedensband und der Melanchhton-Akademie in Köln ausgerichtet. Alles in allem eine hochspannende Arbeit. Ich habe so viel interessante Menschen kennengelernt und absolut tolle Filme gesehen. Einer meiner Lieblingsfilme ist der Preisträgerfilm 2013 „Fremde Kinder: Der Vorführer“. Der zehnjährige Rakib aus Chandpur in Indien lebt in zwei Welten, tagsüber geht er zur Schule, abends arbeitet er als Filmvorführer und lebt in der Welt des indischen Bollywoods.  – Faszinierend dargestellt.

Welche Chancen kommen – in Zeiten von Digitalisierung und Streaming – der gesellschaftlichen Bildungsarbeit mit dem Medium Film zu?

Joachim Ziefle: Film ist Kunst und Kunst hat seine Strahlkraft nicht verloren. Es geht nicht so sehr darum, über welches Medium – Kino, Fernsehen oder Streaming auf dem Laptop – der Film gespielt wird, es geht darum, wie ein Film produziert wird. Es wird auch unsere Verantwortung sein, dem Film in der Bildungsarbeit einen Platz zu bieten.

Text: Martin Bock
Foto(s): Der Vorführer, Deutschland 2012, Shaheen Dill-Riaz

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