Schon als Kind von Orgelklängen begeistert

Wolf-Rüdiger Spieler (56), Organist mit einer Ausbildung für evangelische Kirchenmusik, Hochschullehrer und als Musiker und Dirigent vielfältig aktiv, hat für sein gesellschaftliches Engagement den Kölner Ehrenamtspreis erhalten. Im Interview verrät er, warum ihn das selbst überrascht hat und erzählt, wie aus kindlicher Begeisterung eine Karriere als Kirchenmusiker entstand.


Herr Spieler, wie sind Sie zur Kirchenmusik gekommen?

Das begann, als ich fünf Jahre alt war: Damals habe ich zum ersten Mal eine Orgel aus der Nähe gesehen und war sofort von ihrem Klang fasziniert. Ich hatte eine Blockflöte, aber das war für Jungen damals schon ziemlich uncool. Als meine Eltern mir dann die Wahl ließen, Klavier oder Orgel zu lernen, habe ich mich sofort für die Orgel entschieden. Ich hatte das Glück, dass ich gleich einen sehr guten Lehrer hatte: Hansjakob Grewelding, ein Winzersohn, der Kantor und Orgellehrer war und bei uns in Riehl an der St. Engelbert-Kirche spielte.

Sie haben also damals schon in Köln gelebt?

Ja, ich bin in Köln-Riehl in der Nähe der Flora groß geworden. St. Engelbert war auch die Kirche, in der ich gelernt habe. Dort gab es damals die zweitgrößte Orgel in Köln. Sie hatte über 70 Register und drei Manuale, also Klaviaturen.

Sie betonen das so: drei Manuale. Warum ist das besonders?

Nun ja, zwei Manuale reichen auch aus. Aber ein drittes eröffnet ganz andere Möglichkeiten, denn dann kann man noch eine Klangfarbe dagegensetzen und stilistisch mehr variieren.

Haben Sie auch jemals eine eigene Orgel zu Hause gehabt?

Tatsächlich haben meine Eltern eine Heimorgel angeschafft. Aber das war eigentlich eine Fehlinvestition. Man sagt zu Recht: Das wichtigste Register einer Orgel ist der Raum, in dem sie steht! Deswegen habe ich mich lieber auf den Weg zur Kirche gemacht, wenn ich nach der Schule üben wollte.

Wie hat das Orgelspielen während der Schulzeit in Ihren Alltag gepasst?

Ich habe das Dreikönigsgymnasium besucht. Das war damals noch in der Innenstadt und hatte einen sehr guten Ruf und tollen Musikunterricht, der in die Breite ging. Es war auch nicht wie heute: Mein Sohn lernt Trompete und ist in seiner Klasse der einzige, der ein Instrument spielt. Damals lernten von 35 Jugendlichen aus einer Schulklasse 20 ein Instrument.

In eine Band mit Gleichaltrigen konnten Sie aber mit der Orgel nicht eintreten.

Nein, aber das war kein Problem. Der Lehrer fragte mich schon, als ich elf Jahre alt war, ob ich seinen Chor begleiten wollte. Mit Chören hatte ich seitdem viel Kontakt, und ich habe auch Messen und Gottesdienste begleitet. Dafür gab es ja sogar Geld! Ich räumte als Schüler auch Regale im Supermarkt ein, dafür gab es 6,50 Mark in der Stunde. Aber für eine Messe gab es 20 Mark: Das war natürlich attraktiv. Einmal kam auch im WDR ein Fernsehgottesdienst, in dem ich spielte. Das haben dann auch meine Mitschüler angesehen. Da kam dann die Anerkennung ganz von alleine.

Muss man als Kirchenmusiker eigentlich sehr fromm sein?

Ich hoffe nicht! (Er lacht.) Natürlich habe ich eine Grundgläubigkeit und eine Affinität zur Kirche und zu kirchlicher Kultur. Ich könnte nicht Orgel spielen, wenn ich eine Allergie dagegen hätte. Es gibt aber natürlich in Kirchen – wie überall im Leben – auch Strukturen und Strömungen, die ich eher kritisch betrachte. Gleichzeitig sehe ich: Ohne die Kirchen hätten wir heute unsere Kultur nicht! Das fängt schon beispielsweise mit dem Lateinischen und unserem Tonsystem an, die mit dem Christentum im ersten Jahrtausend zu uns gekommen sind.

Die Kirchenmusik ist ein Brennglas für das, was ich vertrete; eine Hochkultur, die ich großartig finde. Für mich als Interpret oder Dirigent steht zunächst das Kunstwerk im Mittelpunkt, egal, ob die Musik nun im Konzert oder im Gottesdienst erklingt. Was jemand beim Musizieren persönlich glaubt, steht für mich eher an zweiter Stelle. Ich kenne einige Kollegen, die gar nicht glauben, aber trotzdem hervorragend Bach spielen. Sogar Brahms hat über sein Requiem gesagt, dass er nicht gläubig sei, aber die Worte so kraftvoll fand, dass sie ihn zu seinem berühmten Werk inspiriert haben. Am Ende höre ich eher, ob jemand gut geübt hat und sein Handwerk beherrscht– weniger, ob und was er glaubt. Und trotzdem gibt es in Gottesdienst und Konzert immer mal diese Momente der besonderen Inspiration, die über das Geübte hinaus gehen und etwas stark Emotionales haben und auch Glauben vermitteln können.

Üben Sie immer noch viel?

Ja, etwa ein bis zwei Stunden am Tag. Zu Hause habe ich einen Flügel und eine kleine Orgel, an denen ich spiele. Aber wo immer es geht, spiele ich auf einer Kirchenorgel. Die Orgel in der Trinitatiskirche ist ja derzeit wegen der Bauarbeiten verpackt. Und im Dom zum Beispiel kann ich üben, aber wegen der regelmäßigen Messen nur nachts, was dann wiederum mit etwas organisatorischem Aufwand verbunden ist. Die Nachtwache findet das meistens nicht toll. Aber ich finde eigentlich immer eine Orgel zum Üben – da helfen die netten Kollegen stets gerne weiter.

Im Dom üben Sie ja nicht nur gelegentlich, sondern spielen auch dort. Ist das ungewöhnlich für einen evangelisch ausgebildeten Organisten?

In gewisser Weise ja. Früher war die Ausbildung der evangelischen und katholischen Organisten an den Hochschulen streng getrennt. In Köln ist sie das formal noch immer, trotzdem gibt es hier eine sehr große Durchlässigkeit und ein kollegiales Miteinander.

Da Kirchenmusik wie der geistliche Dienst der Pfarrer und Küster ein aktiver Teil der Verkündigung ist, wird hier grundsätzlich eine höhere Identifikation voraussetzt als manche anderen kirchlichen Aufgaben. Damit ist auch das Orgelspiel eigentlich an die Konfession gebunden. Trotzdem wurde ich vor neun Jahren erstmals gefragt, ob ich im Dom spielen wollte und habe auch gerne zugesagt. Oft kommt so etwas nicht vor – aber auch hier werden die Strukturen durchlässiger.

Der Ehrenamtspreis wurde Ihnen verliehen für Ihren Einsatz als Leiter des „reger chor köln“, den Sie selbst gegründet haben. Wodurch zeichnet sich dieser Chor aus?

Wolf-Rüdiger Spieler erhält den Ehrenamtspreis, KölnEngagiert 2020

Zunächst, dass wir ein sehr „reger“ Chor sind. Daher auch der Name. (Er schmunzelt.) Unser Repertoire reicht vom Barock bis zur Moderne. 1982 haben wir uns gemeinsam aufgemacht und singen seitdem fast ausschließlich für soziale Projekte. Besonders intensiv haben wir uns den „Kindern krebskranker Eltern“ gewidmet, ein Projekt, das ich 2005 zusammen mit Professor Michael Hallek von der Kölner Uni-Klinik ins Leben gerufen habe und für das wir im gleichen Jahr auch zum ersten Mal aufgetreten sind. Anfang dieses Jahres war unser 16. Konzert zu ihren Gunsten. Wir haben aber auch schon für diverse andere karitative Projekte gesungen. Einige der Chormitglieder sind in der Tat seit 38 Jahren dabei, viele mehr als 30 Jahre. In einer solch langen Zeit sind viele Lebensfreundschaften daraus geworden. Wir haben aber auch junge Mitglieder, die jetzt erst 30 Jahre alt sind.

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Was bedeutet es Ihnen, diesen Preis zu erhalten?

Ich hätte nicht gedacht, dass jemandem mit unserem eher klassischen Profil in Köln für einen solchen Preis in Frage kommt! Hier am Rhein liegt der Fokus ja eher auf Multi-Kulti-Musik, Kölsch-Rock, Karneval und FC, die ja auch alle sehr für soziale Projekte engagiert sind. Die kirchliche Kultur mit geistlicher Musik kommt in dieser Stadt in der öffentlichen Wahrnehmung eher an zweiter Stelle. Insofern war ich echt überrascht! Natürlich freut es mich sehr, auch für die Chorsängerinnen und Chorsänger, denen die Auszeichnung ja ebenfalls gilt.

Was ist es, das Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Freude macht?

Mich begeistert die ständige Auseinandersetzung mit Musik und Kultur, der Austausch mit Künstlern und Kollegen. Auch, wenn das eigentliche Musizieren ja nur etwa dreißig Prozent meiner Arbeitszeit ausmacht, weil mein Hauptstandbein heute meine Musikschule ist, in der ich 25 Mitarbeiter an verschiedenen Standorten beschäftige. Ich bin, neben weiteren Tätigkeiten, ja auch Programm- und Organisationsleiter der Trinitatiskirche und Dozent an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Immer habe ich den Eindruck, etwas Sinnvolles zu tun, etwas, das ich kann und dem ich gerecht werde. Dadurch kann ich 65-70 Stunden in der Woche arbeiten, ohne dass ich mich angestrengt fühle. Dass ich mich auf diese Weise beschäftigen kann, ist für mich ein großer Luxus.

Text: Johanna Tüntsch
Foto(s): Johanna Tüntsch/Bernhard Seiger

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