„Wir brauchen das Licht in der Dunkelheit“ – Weihnachtspredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger
„Zum Eigentlichen kommen wir, wenn wir ganz da sind in unserer Zeit, wenn wir die Menschen um uns her wahrnehmen und spüren können. Das Eigentliche ist das Spüren des eigenen Lebensgefühls, das Gespür für Entspannung“, sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger in der Predigt am Heiligabend in der Reformationskirche in Köln-Bayenthal. Er sprach über den Predigttext Jesaja 9, 1-6. Lesen Sie hier die Predigt:
Liebe Gemeinde,
Ich spreche ein Gebet für uns:
„Gott, schenke uns ein Wort für unser Herz –
und ein Herz für dein Wort.“
Liebe Gemeinde!
Den Predigttext für diesen Heiligen Abend finden wir in den Worten des Propheten Jesaja im 9. Kapitel. Ein poetischer Text, in dem viel Vertrautes mitschwingt.
– Textverlesung –
Wir erkennen viele der weihnachtlichen Symbole wieder: Licht und Finsternis, die Geburt eines Kindes, die erhabenen Titel Ewig-Vater und Friedefürst und dann überhaupt die Worte von Frieden, Recht und Gerechtigkeit.
Wie hören wir diese Worte, können wir sie aufnehmen?
Wir hören die Worte als Menschen, die einen langen Weg hinter sich haben. Viele von uns haben in den letzten Wochen Stress und Anstrengung erlebt, ich kenne jedenfalls viele. Bürgermeisterin Reker sagte letzte Woche bei einem Treffen: „Da ist keine Besinnlichkeit in unserer Adventszeit – und wir wissen warum.“
Die Geschehnisse der Welt und im Land treiben uns um. Verstört sind wir von dem sinnlosen und brutalen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt von Magdeburg mit so viele Toten und Verletzten. Neben der erschreckenden Gewalt in unserer Nähe und den anhaltenden Weltkonflikten gibt es aber auch dies: Wir haben den Sturz des brutalen Assad-Regimes erlebt und dass tatsächlich Tyrannei zuende gehen kann! Und jeder hat auch seine privaten Geschichten dieser Tage, bei denen es schwierig war, aber auch Fragen geklärt wurden.
Wir sind vielleicht nicht atemlos durch die Nacht gereist, aber doch zuweilen atemlos durch die Adventszeit: Bevor wir zum Eigentlichen kommen.
Ist das Eigentliche das, was dableibt, wenn die Pflichten erledigt sind? Könnte sein. Und was ist, wenn die Dinge nicht fertig werden? Und manche großen Themen sind nicht fertig, wir sind mittendrin.
Zum Eigentlichen kommen wir, wenn wir ganz da sind in unserer Zeit, wenn wir die Menschen um uns her wahrnehmen und spüren können. Das Eigentliche ist das Spüren des eigenen Lebensgefühls, das Gespür für Entspannung.
Ich vermute, wir kennen die Sehnsucht, nach vielem, was uns fordert und beansprucht, zur Mitte zu kommen.
Wir brauchen das Licht in der Dunkelheit, einen Ort, an dem Ruhe herrscht, an dem sich die Gedanken sammeln können und an dem wir einfach nur betrachten können, ohne etwas tun zu müssen.
Am letzten Mittwoch wurde in der ARD der neue Weihnachtsfilm „Bach – ein Weihnachtswunder“ vom Regisseur Florian Baxmeyer gezeigt. Es geht um die Entstehungsgeschichte des Weihnachtsoratoriums 1734 in Leipzig. Dabei werden die Umstände des Komponierens in damaliger Zeit gezeigt, aber eben auch die Konflikte in der großen Bachfamilie. Die Auseinandersetzungen entsprechen durchaus der Realität, was überlieferte Briefe belegen.
Bachs Musik, die zu Herzen geht und ohne die für manche von uns gar nicht Weihnachten werden kann, entsteht mitten in den Spannungsfeldern der Zeit und der Dynamiken in einer Familie. Der Film ist kein Dokumentarfilm, sondern eine verdichtete Erzählung. Der damalige Stadtrat Stieglitz hatte Bach damals vorgeworfen, seine Musik sei nicht geistlich, sondern sei viel zu modern und opernhaft. Die Menschen würden von seiner Musik zu starken Gefühlen hingerissen werden, seine Musik sei „eitel und sündig“.
Jeder, der heute Bachs Musik hört, kann nur denken: Wie gut, dass die Gefühle zum Klingen kommen! Von zart und nachdenklich über das Jubeln bis hin zu inniger Dankbarkeit.
Es gibt wohl nicht wenige Menschen, die erreicht die frohe Botschaft nicht mehr über Worte, aber Musik öffnet die Herzen. Bach entgegnet mitten im Konflikt:
„Sie bestellen bei Musikern religiöses Gefühl, aber keine Leidenschaft. Sie haben Angst vor der Wucht der Musik, weil sie sich nicht beherrschen lässt.
Es muss klingen, dann erst spüren sie Weihnachten.“
Diese Wucht, diese Leidenschaft beschreibt auch unser Bibeltext. Er beginnt mit einem Fanfarenstoß:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande,
scheint es hell.“
Finsternis. Dagegen das Neue. Die Hoffnung. Das Licht.
Wer Finsternis erlebt, der fragt: Gibt es auch für mich Licht?
Gibt es ein kleines Glück für mich?
Wer Krieg und Gewalt erlebt: der Soldat in der Ukraine im Schützengraben und Frauen wie Giséle Pelicot, die über Jahre Schlimmstes erdulden musste, welches Licht sehen sie? Ihre Sehnsucht ist, dass die Angst und die Demütigung aufhören, dass die Wahrheit ans Licht kommt und das Recht sich durchsetzt und ihre Würde wieder da ist.
Von dieser Sehnsucht nach Licht spricht der Prophet Jesaja. Er sieht den Grund der Hoffnung voraus – ungefähr 700 Jahre vor Christus, so alt sind diese Worte schon.
Christenmenschen haben diese Worte dann vor 2000 Jahren neu gehört, sie haben das Licht gesehen und gespürt. Seitdem tragen sie die Botschaft von Weihnachten weiter.
Diese Botschaft lautet, ganz schlicht und einfach: Gott wird Mensch, er wird ein Kind, verletzlich und ausgeliefert. Diese Zartheit ist der größtmögliche Gegensatz zum Gedröhn der Stiefel und des perfiden Umgangs mit Macht.
Das heißt, es gibt keinen Ort und keine Situation, auf die Gott sich nicht einlassen würde.
Er ist dort, wo Menschen arbeiten und Lasten tragen.
Er ist dort, wo Gewalt brutal Menschen aus dem Leben reißt und Menschen verzweifeln.
Er ist da im Krankenhaus, wo Menschen in Sorge um verletzte Angehörige sind.
Er ist dort, wo einer mit der Einsamkeit umgehen muss.
Er ist in unseren Familien, wo wir uns reiben und feiern.
Er ist auch im Krankenhaus, wo Menschen in Sorge sind.
„Das Volk sieht ein helles Licht.“ Die dunklen Nächte werden vorbei sein! Ein neuer Tag bricht an: Freude und Zuversicht – das sind die neuen Metaphern.
Das Joch wird zerbrochen werden, die Last wird genommen, die Unterdrückung und das Ausnutzen von Menschen durch Menschen soll aufhören. „Und jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt werden.“
Jedes Tun, das Menschen bedrückt, soll ein Ende haben. Ein Mahnwort an alle, die aus niederen Motiven Gewalt gegen Menschen anwenden.
Ein Trostwort für alle, die Enttäuschungen und Verletzungen erlebt haben. Für sie scheint es hell.
Über denen, die sich in ihrer Familie, in Politik und Gesellschaft um Aufbruch und Zuversicht bemühen, scheint es hell.
Dieses Licht müssen wir nicht selber machen oder anzünden. Nein, das Licht ist längst da für uns. Zart oder strahlend.
Wir müssen es allerdings erkennen und weitergeben.
Die Bilder des Textes sind geradezu kühn.
„Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.“ Das Bild von Freude über die reiche Ernte, Freude über die ein-gefahrenen Früchte. Noch plastischer ist das Bild vom Austeilen einer Beute, ein Bild aus der Gaunersprache. Wenn man eine reichlich beladene Karawane überfallen hat und sich freut, dass es etwas zu verteilen gibt.
Unsere Freude über kleine Geschenke an Weihnachten, die Neugier von Kindern, nicht mit dem Auspacken warten zu können – darin steckt etwas von der ganz sinnlichen und schönen Freude am Geschenkten.
Was Jesaja hier verheißt, ist konkret. Die Freiheit von der Knechtschaft geschieht dort, wo jemand ein freier Mensch werden darf. Dort, wo Menschen ihre Würde zurückerlangen. Wo ehrliche Verständigung und wo Versöhnung nach einem Streit geschieht, da leuchtet Gottes warmer Schein in unsere Welt und in unsere Herzen.
Wie erkenne ich das Licht?
Dunkle Nachrichten und Gefühle kann ich reichlich finden, wenn ich sie suche. Es kommt darauf an, in die richtige Richtung zu sehen. Dazu macht der Prophet Mut:
Seht auf die Zeichen der Hoffnung!
Seht auf Menschen, die neu anfangen.
Seht auf Gottes Tun, das dort geschieht, wo ihr es zulasst.
Dann folgt der wunderschöne Vers 5:
„Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.
Und er heißt Friedefürst.
Seine Herrschaft werde groß und des Friedens kein Ende.“
Das Kind nimmt den Gegensatz von Licht und Finsternis auf und steht für das Licht. Jesaja hat alle seine Hoffnungen auf ein Kind gesetzt. Angst und Furcht sind weit weg, wenn wir auf das Neugeborene sehen.
Das aber ist Weihnachten: Man schlägt die Augen auf und sieht alles noch einmal von vorn, mit den Augen des Kindes.
Farbe kommt ins Bild. Strahlende Gesichter, fröhliche Stimmen, Begeisterung, Lachen, Freude.
Das Kind ist das Zeichen, an dem man den Aufbruch ablesen kann. Das Symbol der Zeitenwende. Mit jedem Kind, das zur Welt kommt, geschieht etwas Besonderes.
Aber diese Nacht ist noch anders als alle Tage und Nächte, in denen Kinder geboren werden.
Das ist die Verzauberung dieser Nacht:
Ein Kind wird geboren, das König wird und dabei doch Kind bleibt. Warm und verletzlich wie ein Kind ist dieser Mann.
Einer, der wie ein Kind um Vertrauen wirbt und Vertrauen schenkt.
Und so ist es Gottfried Bach, der stille und in sich gekehrte Junge, der im Bachfilm die Wende herbeibringt. Er rührt mit seinem unerwarteten Einsatz selbst den knorrigen Leipziger Stadtrat.
So ist Gott, anders als wir denken. Das haben die Engel und die Hirten begriffen. Jedenfalls so, dass sie anbetend stehen bleiben.
Wer sich so anrühren lasst, dessen Herz wird warm und weich. Es kann anfangen zu klingen, und dann können wir Weihnachten spüren.
Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht als ….
Text: Bernhard Seiger/APK
Foto(s): Archiv
Der Beitrag „Wir brauchen das Licht in der Dunkelheit“ – Weihnachtspredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.