„Wir öffnen unsere Herzen und wir hören vertraute Worte neu“ – Weihnachtspredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger
Stadtsuperintendent Bernhard Seiger hat am Heiligabend 2020 um 17:30 Uhr einen Video-Gottesdienst in der Ev. Gemeinde Köln-Bayenthal gefeiert. In der Predigt sprach Seiger über den Text aus Jesaja 11, 1-8. Lesen Sie hier die Predigt von Pfarrer Bernhard Seiger:
Liebe Gemeinde,
können wir einander ungeteilt „Fröhliche Weihnachten!“ wünschen? Wir stellen die Frage – natürlich – mit Blick auf die Pandemie und ihre Folgen. Die Frage ist nur zu berechtigt. Denn die Empfindung von „Freud und Wonne“, die Paul Gerhardt beschrieben hat, konnte sich in den letzten Tagen nur schwer einstellen.
Da sind die Menschen, die in Krankenhäusern um ihre Gesundheit kämpfen, die Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger auf den Intensivstationen. Die Inzidenz- und Sterberaten steigen. Es zerbröseln viele private Weihnachtspläne. Wie viele Hochzeiten und schöne Erlebnisse wurden abgesagt! Berufliche Existenzen sind gefährdet.
Nach Jahrzehnten hoher Sicherheit spüren wir alle Verunsicherung und lernen, dass man nur ein paar Tage oder höchstens Wochen weit planen kann. Wir haben ethische Entscheidungen zu treffen, die wir uns nie hätten vorstellen können: Sollen wir den Besuch bei Großeltern machen oder – aus Fürsorge – besser nicht? Sollen wir Freunde lieber nicht treffen?
„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“, so haben wir im Advent gesungen. Nein eher nicht gesungen, eher gehört oder gedacht. Unsere tröstenden Rituale im Alltag sind gestört, aus denen wir sonst Kraft gewinnen: Weihnachtsmärkte, Chorkonzerte, Treffen mit lieben und vertrauten Menschen. Wie bekommen wir Kontakt zu den Quellen der Kraft und der Orientierung?
Maria hatte diesen Kontakt. Sie sagte nach der Botschaft des Engels: „Ich versteh´ nicht, was mir geschieht. Aber ich traue Gott zu, Großes zu tun.“ Sie spürte neues Leben in sich und hat darin Gottes Wirken gefunden. Sie hat Worte gefunden, die viele von uns auswendig kennen:
„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Und Maria behielt alle diese freudigen Worte des Engels und bewegte sie in ihrem Herzen.“
Sie spürte, was ihr Kraft gibt: Guten Worten trauen. Keine Angst vor dem Neuen haben, schon gar nicht vor dem neuen Leben, das da in ihr wachsen will. Mit ganzem Herzen darauf vertrauen, dass Gott treu ist, auf jeden Fall treu ist, was auch immer geschehen mag! Aber eben auch spüren und aussprechen, was auf uns lastet. Das können wir sagen, weil dem, der Mensch wurde, nichts Menschliches fremd ist. Unser Gott weiß um das, was wir vermissen.
Christus weiß, was krank gewordene Menschen erleiden. Er weiß um manche Einsamkeit der letzten Monate. Er weiß um die menschliche Kälte und Irritation, weil wir nur halbe Gesichter sehen und Kinder und Erwachsene das freundliche Lächeln, das ihnen zugedacht ist, hinter Masken nicht erkennen.
Gott weiß darum, wie es uns zumute ist. Weil er nach Bethlehem kommt, weil er in der Verletzlichkeit dieses Neugeborenen ist, weil wir das Zarte und das Zerbrechliche spüren, kommt er auch überall dorthin, wo Menschen heute Abend Weihnachten feiern: Am Fernsehen, am Tablet oder in den weniger gewordenen Gottesdiensten, die im Freien oder in den katholischen und evangelischen Kirchen gefeiert werden.
Wir werden bescheiden und demütig, genauso wie Maria, weil wir die Verletzlichkeit unseres Lebens stärker spüren als in so vielen anderen Jahren. Und wir öffnen unsere Herzen und wir hören vertraute Worte neu. Wir fühlen uns vielleicht auch den Hirten, die in ihrem Leben den Kräften der Natur oft ausgeliefert sind, auf eine neue Weise nahe. Und wir empfinden gemeinsam.
Und deshalb hören wir auch die Verheißungsworte des Jesajabuches Kapitel 11, Verse 1-8 sehr wach: Die Predigtworte für dieses Weihnachtsfest.
Textverlesung Jesaja 11,1-8.
Das sind Zukunftsworte voller Wucht. Wir hören von der Sehnsucht nach der besseren Zeit. Jesaja beschreibt in Kriegszeiten die kommende Friedenszeit:
„Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen. Der Messias wird ein rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande und wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen.“
Gerechtigkeit wird aufziehen, das Leiden wird zu Ende sein. Der Prophet bezieht von dieser Ordnung Gottes die Kraft für die Zukunft.
Die Zeit der gewaltsamen Herrscher wird vorbeigehen! Die Zeit aller Diktatoren, die nur um sich und ihre Macht kreisen, wird überwunden werden. Es wird ein Land beschrieben, dessen Bewohner einander weder Bosheit noch Schaden antun. Ja, der Prophet entwirft ein geradezu paradiesisches Bild: „Kalb und Löwe werden miteinander grasen …, und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter“.
Die starken Bilder des Jesaja wurden zuerst von Juden, dann auch von Christen aufbewahrt und fortgeschrieben. Sie haben Menschen ermuntert, im Sinne des Friedens und der Versöhnung zusammenzuleben und auch in dem Sinn Politik zu machen.
Und außerdem hat gerade das Zukunftsbild des Jesajabuches etwas ganz Realistisches. Denn das Bild von der Bärin, die friedlich neben der Kuh auf der Weide liegt, ist nur auf den ersten Blick ein Idyll. Genau besehen zeigt es, womit Frieden auf Erden beginnt: dass Menschen aufhören, auf Kosten anderer zu leben. Wenn ein Gewalttäter, wie der Prophet es ausmalt, sich durch ein bloßes Wort stoppen lässt, dann muss er ein neuer Mensch geworden sein …
Dass Mensch und Welt von Grund auf neu werden – davon sprechen die Worte des Jesaja. „Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais …“, so beginnt er. Dieser neue David wird, so heißt es, gewaltfrei herrschen: Er richtet nicht aufgrund äußeren Anscheins. Er überwindet die Frevler, die laut Tönenden „mit dem Stab seines Mundes“. Er regiert also allein durch sein Wort. Das setzt natürlich voraus, dass sein Wort Macht hat. Es hat Macht, weil es den Menschen, der es hört, von innen her verwandelt. Die Bösen werden nicht beseitigt, sie werden der Bosheit entwunden.
Da kann dann, „der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böckchen lagern“. Dieses Bild ist einfach grandios! Es besagt ja nicht nur, dass das Raubtier gezähmt wird. Es besagt, dass Wolf und Panther der Impuls zum Töten abhandengekommen ist – und Lamm und Böckchen keine Angst mehr spüren.
Die Angst wird überwunden. Genau das ist die Sehnsucht unserer Tage. Wieder ohne Furcht leben zu können! Solch eine neue Welt ist natürlich ein Wunder; ein Wunder, so groß, wie die Entstehung der Welt, auf der wir leben. Und das ist die Hoffnung des Propheten: dass Gottes Geist noch einmal so machtvoll weht wie bei der Schöpfung; dass das ganze Land erfüllt wird mit der Erkenntnis Gottes …
Von dieser neuen Welt handelt die Weihnachtsgeschichte. In der Krippe zu Bethlehem hat sie ihren Anfang genommen. Diese Wahrheit ist noch im Werden. Sie sucht Menschen, die ihr vertrauen.
Wo sie Vertrauen findet, wird alles neu. Denn im Christkind hat Gott sich ein für alle Mal mit uns Menschen vereint – so, dass uns nichts mehr scheiden kann von der Liebe Gottes. Auch all das nicht, was wir jetzt hier erleben. Im Christkind schaut Gott uns unendlich gütig an – so, dass das Herz weit werden und die Angst dahinschwinden kann. Und im Christkind heißt Gott uns ohne Unterschied alle willkommen – so, dass wir auch miteinander verbunden werden.
Hoffen und Warten auf eine Zeit des Heilwerdens nach all der Anstrengung. Warten auf Impfstoffe und die vielen Impfungen, Warten und hoffen auf den Zusammenhalt der Menschheit und unserer Gesellschaft in der Not. Wir hoffen und warten auf die von Jesaja beschriebene Zukunft.
Weihnachten öffnet die Tür, auf Gottes Nähe zu treffen, auf menschliche Wärme und Nähe zu trauen. Wir alle können durch Disziplin und Verzicht viel dazu beitragen, dass das Virus bekämpft wird und dass wir innerlich zusammenbleiben als Nachbarn und Kinder Gottes.
Wir können dem Kind im Stall nachfolgen und damit auf jeden Fall zur Verfreundlichung der Welt beitragen.
Darauf liegt Segen!
Und daher in dem Sinne: Fröhliche Weihnachten! Amen.
Text: Bernhard Seiger
Foto(s): Ebels
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