„Brückenbauer*innen“ begleiten seit einem Jahr pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen mit Zuwanderungsgeschichte

„Stellen Sie sich vor, Sie sind in China und müssen dort zu einem Arzt“, so beschreibt Daham Abdulghani die Situation, in der sich Migranten und Migrantinnen in Köln befinden, die das deutsche Gesundheitssystem nicht kennen. Abdulgahni floh vor sechs Jahren aus Syrien und kann die Probleme nachempfinden, ebenso wie seine Kollegin Etleva Zela: „Es geht Dir wie einem Fisch ohne Wasser.“ Die beiden arbeiten seit genau einem Jahr im Modellprojekt „Brückenbauer*innen Palliative Care“. Dieses erste Jahr der praktischen Phase war Anlass für einen Fachtag im Haus der Evangelischen Kirche, zu dem das Diakonische Werk Köln und Region eingeladen hatte. Mehr als hundert Gäste nahmen teil, dazu weitere 30 online im Livestream.

Vertrauen schaffen

Seit Februar 2022 begleiten acht „Brückenbauer*innen“ in Köln pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und deren Familien als Sprach- und Kulturmittler und -innen, zum Beispiel bei Arztbesuchen und im Krankenhaus. Sie sprechen insgesamt 12 Sprachen. „Ihre Lotsenfunktion ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen und kulturelle Hürden zu überwinden“, betonte Paul Zubeil in seinem Grußwort. Zubeil leitet die Unterabteilung für europäische und internationale Angelegenheiten im Bundesministerium für Gesundheit, das das Modellprojekt finanziert. Als „sehr innovativ“ lobte er die Zusammenarbeit von Berlin und Köln. Im Diakonischen Werk Berlin startete vor einigen Jahren bereits ein ähnliches Modellprojekt mit dem Schwerpunkt Pflege. Dann kam aus Berlin die Anfrage an das Diakonische Werk Köln und Region, in beiden Städten das Projekt „Palliativ Care“ ins Leben zu rufen.

Diakonisches Werk ist bunter geworden

„Berlin und Köln, das passt“, sagte Jörg Zeyßig in seiner Begrüßung. Dabei verwies der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes auch auf den BAP-Song „Nippes, Ihrefeld un Kreuzberg“ aus den 1980er Jahren. „Vielleicht hätte noch die eine oder andere Ruhrgebietsstadt gepasst, aber diese beiden Städte sind schon die Hochburgen migrantischen Lebens in Deutschland.“ Das Diakonische Werk sei durch das Projekt bunter geworden. Er freue sich über „die inzwischen eingetretene Normalität, über die Bereicherung durch andere Kulturen und die damit verbundene Herausforderung, die eigenen Blickwinkel immer wieder in Frage zu stellen und anzupassen.“

Zudem sei das Projekt auch eine Chance für die Brückenbauer*innen selbst, denn sie leisten ihre Arbeit nicht ehrenamtlich, sondern in einem tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnis. Zuvor haben sie einen fünfmonatigen Qualifikationsprozess absolviert und besuchen auch weiterhin Schulungen, zum Beispiel zu medizinischen Fachbegriffen, um die nötige Sicherheit für die Gespräche mit Klienten und Klientinnen und Fachpersonal zu gewährleisten. „Die vermittelten Fähigkeiten sind auch für den ersten Arbeitsmarkt von Interesse“, so Zeyßig. Wünschenswert wäre zu prüfen, „ob nicht auch eine Anerkennung in einem bestehenden Berufsbild möglich wäre.“

Die Brückenbauer*innen aus Köln und Berlin kamen anlässlich des Fachtages das erste Mal zusammen. Alle haben eine persönliche Migrationsgeschichte und viele haben negative Erfahrungen gemacht, wenn eigene Angehörige krank wurden oder im Sterben lagen. „Wie wir als Gesellschaft Sterbende begleiten, ist in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt“, sagte Sozialdezernent Dr. Harald Rau in seinem digitalen Grußwort. Es sei gut, dass es hier jetzt Hilfe von der Diakonie gebe und eine Anschubfinanzierung durch das Bundesministerium. In Berlin werde das Vorläuferprojekt in der Pflege mittlerweile vom Senat finanziert, erläuterte Ralf Nordhauß, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Berlin. Auf die Frage, ob eine Weiterfinanzierung auch durch die Stadt Köln denkbar wäre, wollte sich Bettina Baum, Leiterin des Amtes für Integration und Vielfalt, nicht festlegen. Allerdings könne sie sich nicht vorstellen, „wie das System weiterlaufen soll ohne diese Arbeit.“

Jeden Tag Anrufe von Menschen, die mitarbeiten wollen

Im ersten Jahr haben die Brückenbauer*innen in Köln mit vier Vollzeitstellen mehr als 300 Menschen aus 25 verschiedenen Herkunftsländern begleitet. Ein Drittel benötigte Unterstützung in arabischer Sprache, ein Viertel in russischer Sprache, was an der Begleitung von Geflüchteten aus der Ukraine liegt. „Wir könnten noch viel mehr Sprachen gebrauchen, vor allem auch türkisch“, sagte Claudia Lautner, die das Projekt in Köln leitet. Jeden Tag erhalte sie Anrufe von Menschen, die auch als Brückenbauer*in arbeiten wollten. Für weitere Stellen müsse aber die Finanzierung ausgeweitet werden. Selbst überrascht war Claudia Lautner davon, dass auch viele Familien mit jungen Erkrankten und Sterbenden um Hilfe bitten. Im ersten Jahr waren 20 % noch keine 18 Jahre alt, 27 % waren älter als 60. „In jeder Lebensphase Brücken bauen“ so übersetzte die Berliner Projektleiterin Nazife Sari die türkische Unterzeile auf der Einladung zum Fachtag. Und Brücken bauen müssten alle am Projekt Beteiligten.

Viele Redewendungen sind missverständlich

Wie unterschiedlich die kulturellen Ausprägungen gerade bei den Themen Krankheit und Sterben sind, machte Professor Dr. Hacı Halil Uslucan von der Universität Duisburg-Essen deutlich. Er sprach über das „Gesundheits- und Krankheitsverständnis im kulturellen Kontext – Was bedeutet der böse Blick? Ich küsse deine Augen!“. Redewendungen wie „Da haben Sie aber Schwein gehabt“ seien sehr missverständlich. Die sehr direkte Kommunikation mancher Ärzte westlicher Prägung irritiere viele, da in anderen Kulturen „eher um den heißen Brei herumgeredet wird, auch um den Menschen zu schützen.“

Für eine interkulturelle Kompetenz brauche es daher das Wissen über Kulturen, eine empathische Haltung und die Offenheit, Diversität zu leben. Die reine Übersetzung reiche oft nicht, bestätigte Dr. Ferya Banaz-Yaşar vom ambulanten Hospizdienst am Universitätsklinikum Essen. Sie gab Einblicke in die „Kultursensible Hospizarbeit“, wo ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende Sterbende mit internationaler Biographie begleiten. Vor allem medizinische Begriffe müssten oft ausführlich erklärt werden. Es handele sich weniger um eine Sprachbarriere als um eine Kommunikationsbarriere. „Der Tod ist immer schmerzhaft, egal in welcher Kultur oder Religion, das ist das Verbindende in der Hospizarbeit.“

„Jeder Mensch hat ein Recht auf Würde“

Von Irritationen in der Kommunikation berichtete auch Fatih Çevikkollu in seinem kabarettistischen Impuls: Als geborener Kölner machte er Mut, stolz zu sein auf eine „internationale Biographie“. Den Begriff „Migrationshintergrund“ lehne er ab, „das klingt nach einer Diagnose“. Mit Blick auf die erste Generation der Menschen, die nach Köln einwanderten und alle nachfolgenden Generationen forderte er: „Dankbar war gestern, heute ist Teilhabe“. Daran knüpfte der Berliner Brückenbauer Muhannad Abulatifeh mit seinem Statement an: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Würde, gerade auch in der letzten Phase seines Lebens.“

Mehr Infos zum Modellprojekt unter www.brueckenbauerinnen.de

Text: Martina Schönhals
Foto(s): WSW-Media Filmproduktion“ www.wsw-media.de

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