Diskussionsabend zum Krieg in der Ukraine
Jeder Versuch, über das aktuelle Geschehen in der Ukraine zu diskutieren, jede Einordnung des Kriegsgeschehens, jede genannte Zahl der Opfer kann nur eine Momentaufnahme sein. Zu schnell verändert sich täglich die Situation in einem Konflikt, der Menschen weltweit mit Sorge, Angst, aber auch Hilfsbereitschaft erfüllt. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine ist innerhalb Europas der schwerste Konflikt seit den Kriegen in Jugoslawien.
Um zumindest einige grundsätzliche Hintergründe zu beleuchten und einen Blick darauf zu werfen, was in den nächsten Wochen in der Ukraine passieren könnte, luden die Volkshochschule Köln (VHS), die Rosa Luxemburg Stiftung NRW, die Melanchthon Akademie Köln, das Friedensbildungswerk Köln, das Katholische Bildungswerk Köln, die Karl Rahner Akademie Köln sowie der Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd zu einer Online-Diskussion per Zoom und im Youtube-Livestream unter dem Titel „Krieg in der Ukraine – Versuch einer Momentaufnahme“ ein.
Als Diskussionspartner des, von Journalistin Kristin Helberg moderierten, Abends, gaben Ivo Georgiev, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kiew, und Andreas Zumach, freier Journalist und Auslandskorrespondent der taz, ihre Einschätzungen der Lage ab.
„Gezielte und kontrollierte Abrüstung“
Begrüßt wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer durch Homaira Mansury, Fachbereichsleiterin für Politische Bildung der VHS Köln, die erläuterte, dass ein „Info- und Redebedarf“ an sie herangetragen worden sei und dieser Diskussionsabend daher nicht der letzte zum Thema sein soll. „In diesem Konflikt gibt es keine abschließenden Einschätzungen. Wir müssen uns mit Blick auf das Kriegsgeschehen immer wieder korrigieren“, so Homaira Mansury.
Einen intensiven Eindruck, wie es der ukrainischen Bevölkerung gerade geht, gab Ivo Georgiev, der zwar aktuell in Deutschland ist, aber dennoch in engem Kontakt zu seinen Partnerinnen und Partnern in der Ukraine steht. Er berichtete: „Menschen in der Hauptstadt haben ihre pazifistische Haltung aufgegeben, um ihr Land zu verteidigen. Diese Veränderung zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Das Volk hat sich, bei aller Angst und allem Leid, vereint. Das gibt Hoffnung und Kraft.“ Allerdings erwartete das Volk auch Waffenlieferungen von Deutschland. Gerade bei jüngeren Menschen sei zudem eine klare Veränderung „pro Ukraine“ zu beobachten. Präsident Wolodymyr Selenskyj stünde nicht mehr in der Kritik, sondern werde zum Volkshelden erhoben.
Ob der Wille zur Verteidugung aber ausreicht, um Wladimir Putin zu stoppen? Hörbare Zweifel daran klangen im Statement von Andreas Zumach an: „Selbst wenn Putin kaltgestellt würde, gäbe es unmittelbar einen Nachfolger.“ Zumach warnte: „Putin muss gesichtswahrend aus dem Krieg kommen. Aber die Zeichen dafür stehen schlecht.“ Der Journalist sieht derzeit die beste Chance einer diplomatischen Vermittlung durch China, denn China hätte schmerzhafte Sanktionsmöglichkeiten. „Der UN vertraut das russische Volk nicht, Gespräche würden nicht funktionieren“, stimmte Ivo Georgiev zu.
Trotz äußerer Demonstrationen von Stärke, gibt es, nach Andreas Zumachs Überzeugung, auch deutliche Anzeichen für eine Erosion der Macht Putins: „In meinen Augen ist dieser Krieg der Anfang vom Ende seiner Ära. Er wird die Ukraine nicht vollständig unter seine Kontrolle bekommen. Auch in Russland wird seine Macht schwinden.“ Doch was dann? Zumachs ernüchternde Einschätzung: „Momentan sehe ich keine demokratische Opposition, die eine neue Regierung bilden könnte.“
Welche Lösungen gibt es dann? Andreas Zumach sieht eine Zukunft der Kooperation: „Wir haben 20 Jahre lang zugelassen, dass sich das Verhältnis zu Russland verschlechtert. Jetzt müssen wir Russland dabei unterstützen, von der fossilen Energie wegzukommen. Eine grüne Energiewirtschaft ist der Weg. Ebenso wie eine gezielte und kontrollierte Abrüstung.“ Als Sofortmaßnahme hofft Andreas Zumach auf noch härtere Sanktionen und ist sicher: „Die Deutschen würden höhere Preise mittragen, aber es müsste auch Hilfen von der Bundesregierung geben.“
Ivo Georgiev ergänzte: „Auch im Hinblick auf politische Bildung haben wir viel aufzuholen. Informationsvermittlung darf nicht nur über soziale Medien passieren.“ Es gelte, weiterhin Brücken zu bauen. Zum Ende des Abends wurde die Frage nach einem Atomschlag seitens Russlands gestellt. Andreas Zumach sagte dazu: „Ich kann nur hoffen, dass es dann Männer gibt, die Putin aufhalten. Für die jetzige Situation halte ich es aber nicht für ratsam persönlich Druck auf ihn auszuüben, etwa durch den Internationalen Gerichtshof. Das würde ihn nur noch mehr in die Enge treiben.“
Das Video zur Veranstaltung findet sich im Internet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Ps4Sb99fV8
Diskussions- und Informationsprogramm:
Die Melanchthon-Akademie hat wegen des Ukraine-Kriegs ein neues Diskussions- und Informationsprogramm mit ausgewiesenen Experten aufgesetzt. In einer Reihe von Veranstaltungen wurden und werden Hintergründe zu der Auseinandersetzung mit Russland geliefert.
Diskussionsabend „WiederSprechen: Krieg und Frieden in Europa“
28.03.2022, 19:00
Melanchthon-Akademie
Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln
„Wie in einer anderen Welt aufgewacht?“ ONLINE
Krieg und Frieden in Europa
Bilder vom Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung, von geflüchteten Frauen und Kindern, von Militär und Zerstörung prägen derzeit die Welt. Die Hoffnung, nach den schweren Zeiten der Pandemie, wieder etwas entspannter und unbesorgter Leben zu können ist verflogen. Mit der Veranstaltung „Wie in einer anderen Welt aufgewacht? – Krieg und Frieden in Europa“ aus der Reihe „WiederSprechen“ am Montag, 28. März, 19 Uhr, soll ein öffentlicher Raum geschaffen werden in dem die Teilnehmenden ihre Sorgen und Ängste bezüglich des Krieges äußern können und diese mit Fachleuten eingeordnet und diskutiert werden kann. In der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, sind Christine Busch, Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft evangelischer Friedensdienst (AGDF) und Stephan Grünewald, Psychologe, zu Gast. Die Moderation übernimmt Arnd Henze, Autor, Journalist und Redakteur beim WDR. Zu dieser Veranstaltung laden das Friedensbildungswerk Köln, die Karl Rahner Akademie Köln, das Katholische Bildungswerk Köln, die Melanchthon Akademie Köln sowie die Volkshochschule Köln ein. Eine Anmeldung unter www.karl-rahner-akademie.de ist erforderlich. Die Veranstaltung wird auch gestreamt. Die Teilnahme ist kostenlos.
Text: Katja Pohl
Foto(s): Matthias Pohl
Der Beitrag Diskussionsabend zum Krieg in der Ukraine erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.