Solidarität und Berührbarkeit in der Corona-Krise – Die Medizin-Ethikerin Prof. Dr. Christiane Woopen sprach bei der Reformationsfeier in der Trinitatiskirche

Was trägt uns in Krisen?“, lautete die zentrale Frage bei der zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region in der Trinitatiskirche 2021. Und da stand natürlich der persönliche und gesellschaftliche Umgang mit der Corona-Pandemie im Mittelpunkt.

Zusammen feiern im evangelischen Dom

Stadtsuperintendent Bernhard Seiger begrüßte die zahlreichen Gäste im „evangelischen Dom“, darunter Stadtdechant Robert Kleine, und freute sich, „dass wir hier zusammen sein und feiern können“. Man habe erlebt, dass nichts selbstverständlich sei: „Weil wir unsere Verwundbarkeit gespürt haben. Weil wir die Bedrohung der Gesundheit unseres Landes und aller Nationen gesehen und verstanden haben.“

Der Reformationstag sei immer auch eine Zeitansage, die Antworten suche auf die Frage „Wo stehen wir?“ Die Ansprache bei der Feier hielt Prof. Dr. Christiane Woopen, Professorin für Medizin und Medizinethik. Bis vor einem Monat war Christiane Woopen an der Universität zu Köln tätig und seit Oktober lehrt sie an der Universität Bonn. Sie war Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Und sie ist Vorsitzende des europäischen Ethikrates.


Videoaufzeichnung – Reformationsfeier 2021

Die Reformationsfeier 2021 wurde live auf YouTube übertragen. Hier können Sie sich die Veranstaltung noch einmal in Ruhe ansehen.

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„Was trägt uns in Krisen? – Entdeckungen im Dialog“

Frau Woopen hat in Bonn die erste Hertz-Professur inne. Das Thema: Interdisziplinäre Erforschung des Lebens. Dazu gehört der Dialog der Medizin mit Ökonomie, Kulturwissenschaften, Soziologie und Theologie. Sie hatte ihrer Ansprache den Titel „Was trägt uns in Krisen? Entdeckungen im Dialog“ gegeben. „Aussichtslosigkeit und Unsicherheit, enttäuschte Hoffnung, Traurigkeit – alles Kennzeichen für etwas, das wir Krise nennen. Das Gewohnte und Vertraute wird infrage gestellt, das Normale wird zum Außergewöhnlichen, der Boden, auf dem man steht, wackelt und bricht weg“, führte sie ein und nannte vier Krisen, die die heutige Zeit prägen: Corona-Pandemie, die europäische Flüchtlingskrise von 2015/16, die globale Finanzkrise von 2006/07 und nicht zuletzt die ebenfalls globale Klimakrise.

„Manche halten das Krisenhafte sogar für DAS konstitutive Charakteristikum der Spätmoderne, die durch den Verlust traditioneller Verankerungen gekennzeichnet sei.“ Nun gehe es darum, mit diesen Krisen umzugehen. „Kraft kann aus Gesprächen und aus den Geschichten anderer entstehen, aus dem Sprechen mit Gott, aus dem Sein in der Natur, aus Musik, aus der Nähe zum Haustier, zu Familie und zu Freunden, ja selbst aus dem Mit-sich-selbst-allein-Sein“, erklärte die Professorin.

Lebendige Beziehung

All diese Quellen der Kraft hätten eines gemeinsam. Es gehe um eine Beziehung, die als lebendig erfahren werde. Es gehe laut dem Jenaer Soziologen Hartmut Rosa um Resonanz. Es gehe um „einen Modus des in die Welt gestellt Seins, in dem die so verschiedenartigen Beziehungen schwingen und ein Verhältnis des gegenseitigen Antwortens besteht, was auch ein nichtsprachliches Antworten sein kann. Das Gegenteil von Resonanz ist die Entfremdung, eine leblose Beziehung, etwas Stummes und Starres.“

Wer in resonanten Beziehungen lebe, empfinde sein Leben als sinnvoll und gelingend. Um in einer resonanten Beziehung ein Gegenüber sein zu können, der eine eigene Stimme habe und der die Stimme des anderen wahrnehmen und verstehen könne, brauche man eine Haltung dazu, was einem besonders wichtig und was unwichtig sei. Dazu seien Werte nötig.

Solidarität

Woopen nannte zwei, die ihr besonders wichtig erscheinen: Solidarität und Berührbarkeit. Für die Professorin ist Solidarität die entscheidende Grundlage, um eine weltweite Krise vom Ausmaß und der Komplexität von Corona bewältigen zu können. Zu Beginn sei es um Solidarität mit den Älteren gegangen, im Moment würden Ungeimpfte aufgerufen, sich impfen zu lassen. Auch das Krankenhauspersonal erfahre Solidarität. An Solidarität mit jungen Menschen habe es in der Krise gefehlt. Das sei deutlich geworden an den Statements die von Mitgliedern der Evangelischen Studierendengemeinde während der Reformationsfeier über ihre Befindlichkeiten unter Corona vorgetragen worden seien. In vielen Schulen fehle es immer noch an Kompetenzen der Lehrkräfte und an Digital-Konzepten, um den Schülerinnen und Schülern das mitzugeben, was ihr Leben in so vielen Hinsichten prägen werde: Bildung.

Solidarität ist eine barmherzige Gerechtigkeit, oder wenn man das wie ich finde sehr schöne, aber für manche altertümlich klingende Wort Barmherzigkeit vermeiden möchte, eine wohltätige Gerechtigkeit. Solidarität beruht auf einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und fördert dies, und sie umfasst die Bereitschaft zur Hilfe für diejenigen, die sie benötigen, auch unter Inkaufnahme eigener Opfer“, fasste Woopen zusammen. Solidarität sei emotional,  institutionell, kulturell und intellektuell ein Beziehungsgeschehen und ein Ausdruck von Resonanz. Das gelte für zwei Menschen wie für den Umgang etwa mit Impfstoffen innerhalb der Weltgemeinschaft.

Berührbarkeit

Der zweite Wert, der für resonante Beziehungen im Sinne Hartmut Rosas eine geradezu unverzichtbare Voraussetzung ist, ist die Berührbarkeit“, fuhr die Medizin-Ethikerin fort und erläuterte: „Bin ich berührbar, so spricht das Wahrgenommene zu mir, dann kann und werde ich darauf eine Antwort geben, auch wenn die Antwort zunächst Ratlosigkeit sein kann, ich aber zumindest auf der Suche nach meiner Stimme bin.“

Berührbar und empfänglich zu sein, habe eine Voraussetzung. Man müsse für sich selbst berührbar sein, eine lebendige Beziehung mit sich selbst führen. Damit hätten viele ein Problem, weil sie in sich nichts finden würden, aus dem heraus sie sich selbst etwas sagen könnten und das eine positive Bedeutung für sie habe. „Dabei gibt es doch in einem selbst das Größte und Wunderbarste schlechthin: nämlich Gott.

Gott ist uns nicht äußerlich, vielmehr hat er jede und jeden von uns von Beginn an in seine Liebe hineingenommen – in seine Liebe zu sich selbst als Liebe zu Jesus im Heiligen Geist.  Diese Zusage und Gewissheit ewiger, unverbrüchlicher Liebe ist es, die wir in uns finden können.“ Die könne man aber nur finden, wenn einem andere vom Glauben und von den Geschichten aus der Bibel erzählten. Wen diese Geschichten berührten, der könne die Gewissheit wachsen spüren, von der Liebe Gottes getragen zu sein und die Angst vor der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit zu verlieren. „Geh Deinem Gott entgegen – bis zu Dir selbst!“ Die Ansprache von Christiane Woopen können Sie hier nachlesen. 

Grußwort Bürgermeister Wolter

Bürgermeister Andreas Wolter überbrachte die Grüße von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Er warf einen Blick zurück auf die vergangenen eineinhalb von der Pandemie geprägten Jahre. Wie so viele hat er den Keller aufgeräumt, aber auch schnell erfahren, wie sehr ihm die sozialen Kontakte gefehlt haben. Wolter hat viele Wanderungen in der Eifel unternommen und das Warten auf die erste Impfung als Tortur wahrgenommen. Dann kam die Flut. „Ich habe erfahren, dass die Grundrechte und ein sicheres Zuhause alles andere als selbstverständlich sind.“ Er appellierte wie Woopen an die internationale Solidarität: „Die Pandemie ist erst vorbei, wenn auch die wirtschaftlich schwächeren Länder genug Impfstoff haben.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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