„Sterbefasten – eine Alternative für selbstbestimmtes Sterben?“

„Sterbefasten – eine Alternative für selbstbestimmtes Sterben?“:  Rund 40 Teilnehmer haben sich in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde im Stadtteil Lückerath eingefunden, um dem Vortrag von Dr. Antje Schneider, Fachärztin für Innere und Palliativmedizin im Team der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) des Rheinisch-Bergischen Kreises, aufmerksam zu folgen. Die Medizinerin machte im ambulanten Bergisch Gladbacher Hospiz „Die Brücke“ direkt deutlich, wer im Fokus ihres Referats steht: „Heute geht es darum, was der Wunsch und der autonome Willen des einzelnen Menschen ist, der sich freiwillig und bewusst dazu entscheidet, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen.“

Kein neues Phänomen

Sterbefasten sei ein eingängiger Begriff und meine den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Nach einer mehrere Jahre zurückliegenden Umfrage der „Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Schwerpunkt Gesundheit“ unter Menschen, die im Pflegebereich tätig sind, räumten etwa 43 Prozent der Schweizer Hausärzte ein, bereits mindestens einmal eine Person beim Sterbefasten begleitet zu haben. „Das Sterbefasten ist somit ein häufiges Thema, insbesondere unter älteren Menschen. Über 90 Prozent von ihnen sind über 66 Jahre, 80 Prozent hiervon über 75 Jahre“, sagte Dr. Schneider. Sterbefasten sei auch kein neues Phänomen, sondern existiere bereits seit Jahrhunderten in vielfältigsten Kulturen. Als Beispiel führte sie römische Philosophen oder alte Indianer an, die gemäß eines Mythos zum Sterben in die Berge gegangen seien.

Uneinheitliche kirchliche Meinung

Interessanterweise existiert keine einzige offizielle Stellungnahme von der katholischen oder evangelischen Kirche explizit zum Sterbefasten. Es gebe nur vorsichtige Versuche, das Thema einzuordnen, sagte die Ärztin. Während die katholische Kirche viele Jahre Sterbefasten als zu verurteilenden Suizid deutete, der eine schwere Verfehlung gegen die Eigen- und Nächstenliebe darstelle, bestehen inzwischen Aufweichungen, die jeder Person eine Selbstbestimmung für sein Leben einräumen. „Auch die evangelische Kirche ist aus christlicher Perspektive gegen die Selbsttötung eines Menschen. Sie räumt aber ein, dass es durchaus Notsituationen geben kann, die ihn zu dieser Entscheidung führen und die für Außenstehende auch zu respektieren sind.“ Auch die juristische Seite stehe den Sterbewilligen nicht im Weg. „Es gibt in Deutschland nicht das Recht, eine Person gegen ihren Willen zu ernähren. Das ist verboten und erfüllt den Strafbestand einer Körperverletzung.“

Zur besseren Verständlichkeit des Unterschieds zwischen einem Suizid und Sterbefasten führte Dr. Antje Schneider einige Aspekte an: „Sterbefasten wird nicht von außen, etwa durch Tabletten oder durch Gewalt herbeigeführt. Es bewahrt hingegen die körperliche Integrität und erhält die Selbstbestimmung. Und es gibt in den ersten Tagen immer noch die Möglichkeit, das Sterbefasten, wenn es nur durch den Verzicht der Essensaufnahme herbeigeführt werden soll, abrupt zu beenden.“ Zwischen vier und sechs Wochen beträgt bei dieser Methode der Zeitraum, bis der Tod eintritt; bei einem vollständigen Verzicht auf feste Nahrung und Getränke liegt die Zeitspanne indes nur bei drei bis sieben Tagen.

Physiologisch stelle sich nach der Entscheidung zum Nahrungsverzicht anfangs ein „gutes Gefühl ein, das Sie vielleicht von einer eigenen Diät kennen“. Doch schon bald lösen sich die Eiweiß- und Fettreserven auf, und ein Muskelschwund setzt ein. Durchschnittlich 400 Gramm beträgt der tägliche Gewichtsverlust des Körpers. Wird zusätzlich keine Flüssigkeit mehr aufgenommen, können zudem bald Gang- und Sprachstörungen einsetzen. „Wichtig ist dann eine hygienische Mundpflege, die das Durstgefühl mindert.“ Schläfrigkeit, Sturzgefahr sowie die Erkaltung von Händen, Armen und Füßen sind weitere Symptome, die den baldigen Tod, der juristisch als „natürlicher Tod“ angesehen wird, ankündigen.

Autonom entscheiden

Die Palliativärztin betont, dass die sterbende Person während des freiwilligen Sterbeprozesses stets medizinisch begleitet und kein behandelnder Mitarbeiter, der die Person aufgrund eines persönlichen Verhältnisses möglicherweise ins Herz geschlossen hat, zur weiteren Betreuung gezwungen wird. Auch den Angehörigen komme eine bedeutsame Aufgabe zuteil. Sie sagte: „Die ethische Entscheidung liegt ausschließlich beim Patienten. Er sollte deswegen weder, nach dem Motto ´Das kannst du mir doch nicht antun´, hiervon abgehalten noch dazu gedrängt werden. Es ist wichtig, dass unbeeinflusst von äußeren Zwängen und Druck eine möglichst autonome Entscheidung des Sterbewilligen getroffen wird.“

Text: Holger Hoeck
Foto(s): Holger Hoeck

Der Beitrag „Sterbefasten – eine Alternative für selbstbestimmtes Sterben?“ erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.